Schmeckt wie Stecker

Bremer Konditorei feiert am Wochenende 100-Jähriges. Mit öffentlichem Baumbuchen-Backen und Jubiläums-Trüffel

„Wir laden keinen besonders ein“, sagt Bernhard Timphus. Aber eigentlich hofft er doch, dass alle kommen – alle alten Freunde der traditionsreichen Konditorei Stecker und natürlich auch wichtige Leute aus der Stadt, die mit ihm das 100-jährige Jubiläum der kleinen Firma feiern wollen. Am 9. Oktober 1908 war „Friedrich Wilhelm“ Stecker zur Polizeidirektion gegangen und hatte das Gewerbe angemeldet, nur 17 Jahre nach der Gründung der Konditorei Knigge. Hundert Jahre sind eine stolze Zeit – Stecker ist nur eine von fünf Bremer Konditoreien, die im Zeitalter des Knack und Back überlebt haben. „Wir werden immer weniger“, sagt er.

Timphus und seine Frau Regina haben die Konditorei im Jahre 2000 übernommen. Die alte Familientradition lebt in ihrem Haus weiter. Wie die alten Steckers leben die Timphus mit ihren Kindern in den oberen Stockwerken des alten, auf das 16. Jahrhundert zurückgehenden Geschäftshauses in der Knochenhauerstraße, unten sind auf zwei Etagen die Backstuben und das Café. „Stecker – das ist bei uns ein Familienmitglied“, sagt Bernhard Timphus, „Was würde Stecker dazu sagen?“, ist die entscheidende Frage, wenn der stattliche Mann, der mit Leib und Seele Konditor ist, neue Rezepturen probiert. Auch neue Produkte müssen „wie Stecker“ schmecken. Nichts steht da auf der Liste der rund 650 Produkte, was ihm nicht schmeckt.

Am kommenden Wochenende soll das große Jubiläum gefeiert werden, mit Baumkuchen-Backen vor dem Haus und den besonderen „Stecker-Jubiläums-Trüffeln“, das Bremer Kaffeehausorchester kommt und die Kunden, die am Samstag das berühmte „Stecker-Frühstück“ bestellen, bekommen ein Stück Butterkuchen dazu.

„Wer zu Stecker kommt, will genießen“, sagt seine Frau Roswitha Timphus. Sie steht – wie die alte Frau Stecker – normalerweise hinter dem Tresen, wenn die Kinder sie nicht hochrufen. Sie kennt die Stammkundinnen mit Namen – wie die alte Frau Stecker. Und „sie kann verdammt gut kochen“, sagt Bernhard Timphus. So gut, dass die beiden, wenn sie denn mal in den Urlaub fahren, nicht à la carte essen mögen, sondern selbst kochen. Und backen. Da kommt es auf jedes Gramm der Zutaten an, auf jeden Grad Hitze beim Backen, und vor allem die Kombination ist das Geheimnis der ästhetisch und geschmacklich überzeugenden Konditorei: Wie viele Minuten 170 Grad, wie viele dann vielleicht 120 Grad, am Ende noch einmal eine Minute 240 Grad, damit der Zucker auf der Oberfläche leicht karamelisiert – oder besser nicht? Das sind die entscheidenden Fragen.

So entscheidend, dass Kunden in aller Welt sich von Stecker den Bremer Klaben und andere Köstlichkeiten schicken lassen – obwohl durch den Transport die Frische leidet. An die 1.000 Pakete werden jedes Jahr gepackt. Einmal ging sogar eine fragile Schneemustorte per Spedition nach Göttingen.

Über das Geschäftliche redet Timphus weniger als über sein Kunsthandwerk. Stecker-Genüsse sind nicht billig, dennoch muss das Café die Konditorei quersubventionieren. Das Album mit den historischen Fotos der Familie Stecker hat jemand auf dem Flohmarkt gefunden und ihm vorbeigebracht – die beiden Töchter, die in den USA leben, haben die Familientradition wie Gerümpel verhökert. Und die alte Frau Stecker wurde anonym beerdigt, weil die Erben kein Interesse an einer Grabstelle hatten.

Das ist bitter, und beflügelt die Timphus darin, diese Familientradition hochzuhalten. Sie haben das traditionsreiche Café, das nach dem Krieg wieder aufgebaut worden war, behutsam renoviert – so behutsam, dass ältere Kunden die alten Bodenfliesen aus den 1920ern auf dem Boden wiederzuerkennen glaubten. Selbstverständlich haben sie auch, als sie 2000 das Geschäft übernahmen, dem alten Konditor Erich Boldt die Regie in der Backstube überlassen – dem Mann, ohne den Stecker nicht Stecker wäre.

KLAUS WOLSCHNER