: Schillernde Fische an Land
Wo selbst das Seichte wahnsinnig aufregend klingt: Das Bungalow Label feiert mit „Mina“ und mit seinen Gründern als „Le Hammond Inferno“ an den Plattentellern seine hundertste Veröffentlichung
von MARC PESCHKE
Wenn Spex und TV Spielfilm unisono loben, dann könnte man misstrauisch werden. Die Begeisterung war riesengroß, als das Berliner Bungalow-Label vor kurzem mit der hundertsten Veröffentlichung Risiko 100 recht eindrucksvoll zeigte, wie lang der Atem auch in dürren Zeiten sein kann: mit einem wunderbar verpackten Päckchen aus einer CD mit Rarem und Unveröffentlichtem, einer DVD mit allen 28 Bungalow-Videos und einem dickem Booklet.
Auf der Internetseite zur Veröffentlichung (www.risiko100.de) ist so auch vor allem davon zu lesen, wie schwierig es ist, als Indie-Label heute durchzuhalten. Da schraubt man seine Ansprüche halt runter: „Hurra, wir leben noch!“ und „sind immer noch nicht pleite!“ ist hier zu lesen – und auch zwei Pressesplitter. „Danke, Bungalow, dass ihr den guten Popstil nach Deutschland gebracht habt!“ jubelt die Fernsehzeitschrift und das Fachblatt erklärt: „Hier wird auch dem letzten Zweifler klar, dass es dem Bungalow-Label nie um Easy-Listening-Aquise gegangen ist. Customized Trash Pop wäre wohl die bessere Bezeichnung.
Easy Listening ist also zum Schimpfwort verkommen. Das war nicht immer so: Etwa, als Bungalow so verruchte Veröffentlichungen wie Dauerfischs Tausend ganz legale Steuertricks („Wir sinds ... alte Säcke auf dem Weg ins 21. Jahrhundert“) in die Welt plumpsen ließ, da klang das Seichte, das scheinbar Abgegriffene aus den 60ern und 70ern noch irgendwie aufregend. Dazu hatte Bungalow mit den Pop Tarts und Stereo Total zwei vor allem live enorm rockstarke Bands im Programm, und Titel wie „O.K. Vollgas“ (Pop Tarts) oder „Party Anticonformiste“ (Stereo Total) hört man schließlich auch heute immer noch gerne.
Doch spätestens mit einigen japanischen Veröffentlichungen war das Berliner Label für viele draußen. Auf der Hipness-Skala rangierte Bungalow für Jahre meilenweit hinter der Berliner Konkurrenz von Kitty Yo, dem Label, das trotz vieler internationaler Acts in gewisser Weise auch das neue, angesagte Berlin verkörperte. Mit Bands wie Surrogat schlug es einen härteren, ernsthafteren Ton an, und die stilsicheren Bungalow-Popper wie Combustible Edison, Fantastic Plastic Machine oder Yoshinori Sunahara verstaubten irgendwo im CD-Regal.
Wenn die Bungalow-Mannschaft jetzt auf Labeltour geht, heißt es trotzdem aufgepasst, denn mit Mina hat das Label einen der am schönsten schillernden Berliner Fische an Land gezogen. Ganz weit weg vom allzu bemühten Berliner Reimesalat à la Paula, 2Raumwohnung oder Quarks beschrieb schon Minas Album A to B den Versuch, weiterzukommen, ohne sich allzu sehr zu verändern. Die Konstanten von Minas Instrumentalmusik bleiben deshalb auch bis heute pulsierende Bässe, ein (echtes) Schlagzeug, dass nach Elektronik klingt, Gitarren-Ornamente und Keyboard-Träume. Mina beschreiben ihre Musik selbst eigentlich am schönsten: „Vorortsituation, Pankow statt Mitte, Einfahrt, Eichhörnchen, Nüsse, die unter deinen Schuhen zerknacken, im Grün einer Einflugschneise, Landschaft, von oben, Flug über große Wälder ...“
Mit dabei an diesem Abend sind außerdem noch Le Hammond Inferno, das Berliner DJ Duo der Bungalow-Gründer Holger Meier und Marcus Liesenfeld, die 2001 ihr erstes Album (wie sie selbst sagen, ein „militant-politisches Dance-Album in der Tradition von Bots, Bob Dylan und Rudi Dutschke“) bei Bungalow veröffentlicht haben – und die Chips, das große Fragezeichen des Abends. Ausgiebig gefeiert wird die hundertste Veröffentlichung jetzt mit einer großen Clubtour, bei der die Sponsoren zum Torwand-Schuss-Contest einladen.
morgen, 22 Uhr, Hafenklang