: Die Plage der Chinesen
Als bester Tischtennisspieler der Welt muss Timo Boll eine Fülle von PR-Terminen wahrnehmen, zwischendurch aber auch noch an die Platte – zum Beispiel ab morgen beim Europe-Top-12-Turnier
von HARTMUT METZ
Inzwischen hat er es auch von Borussia Dortmund schwarz auf gelb: Timo Boll ist die Nummer eins. Der Führende in der Tischtennis-Weltrangliste erhielt von seinem Lieblingsklub in der Fußball-Bundesliga ein Trikot mit der 1 auf dem Rücken. Zudem lud ihn BVB-Präsident Gerd Niebaum zu einem der nächsten Heimspiele ins Westfalenstadion ein. Auf diesen Termin freut sich der 21-Jährige besonders. Schließlich handelt es sich um einen der angenehmeren Sorte.
Aber auch missliebige absolviert der Shootingstar des deutschen Sports mit Engelsgeduld. Obwohl zuvor schon zweifacher Europameister im Einzel und Doppel mit Zoltan Fejer-Konnerth, war das Leben des Tischtennisprofis aus dem Odenwald bis Dezember eher beschaulich verlaufen. Als jedoch publik wurde, dass der Spitzenspieler des TTV Gönnern im Januar als erster Deutscher die oberste Stufe der Tischtennis-Weltrangliste erklimmt, stürzten sich die Medien auf ihn. Morgen hetzt Boll erneut ins Aktuelle Sport-Studio. Dass er vorher die Europe-Top-12 in Saarbrücken bestreitet und möglicherweise vor dem Halbfinale am Sonntagmorgen abgelenkt wird, nehmen sein Heimtrainer Helmut Hampl und Nationalcoach Istvan Korpa billigend in Kauf. Schließlich darbt der Deutsche Tischtennis-Bund bei rund 700.000 Mitgliedern und verlor sogar seine achte Position im nationalen Verbandsgefüge an die Pferdesportler.
Boll soll das wieder ändern und befriedigt das „wahnsinnige Interesse“ an seiner Person. Die Kehrseite der Medaille: „Ich bin am Limit. All die Termine sind stressig.“ Allein, er bleibt immer freundlich und stopft sich sogar gutmütig zusammen mit Stefan Raab möglichst viele Zelluloidbälle in die bescheidene Klappe. „Das Medieninteresse ist ganz anders geworden. Das hinterlässt Spuren“, hat Hampl bemerkt und fordert das, was jeder gute Trainer in solchen Situationen verlangt: „Der Sport darf nicht darunter leiden.“
In der Saarland-Halle brauchen die Tischtennis-Fans aber wohl nicht um ihr neues Idol zu bangen. Geht es nach ihrem alten, Jörg Roßkopf, „kann und wird Timo das Europe-Top-12 wie im Vorjahr gewinnen“. Während Boll selbst Werner Schlager (Österreich), den Belgier Jean-Michel Saive und den Kroaten Zoran Primorac auf der Rechnung hat, erwartet der deutsche Rekordnationalspieler eine Neuauflage des Endspiels 2002 gegen Wladimir Samsonow (Weißrussland). Das hatte der Gönnerner nach Abwehr eines Matchballs noch im siebten Satz gewonnen. Ein Traumfinale zwischen den beiden deutschen Aushängeschildern hält der fast 13 Monate verletzte Roßkopf indes für ausgeschlossen. Der 33-Jährige wäre schon froh, würde er dank einer günstigen Auslosung die Vorrunde überstehen. Beim Super Circuit in Japan bewies Roßkopf mit 6:3 Siegen immerhin ansteigende Form. Sein großes Ziel bleibt die EM. Der Einzel-Europameister von 1993 träumt dabei vom fehlenden Mannschaftstitel in der eigenen Sammlung.
Der junge Boll dagegen will „alles in vier Monaten gewinnen“. Fürchtet zumindest sein Trainer. Hampl hält den Ausnahmekönner aber noch nicht für einen „fertigen Spieler“ und „plant den Aufbau mit einem speziellen Konditionsprogramm auf EM und WM“. Letztere findet im Mai in Paris statt und soll am 25. des Monats mit Bolls Wachablösung der Chinesen enden.
Zwischen den Titelkämpfen werden wieder jede Menge Termine liegen. Auch einer am 19. April in Dortmund, wenn Bayern München gastiert und dem neuen BVB-Mitglied das schwarz-gelbe Leibchen mit der Nummer eins auf dem Rücken übergeben wird. Wenn’s dumm läuft, rauben die Bajuwaren dem Titelverteidiger an diesem Tag endgültig die deutsche Meisterschaft – und auch Boll ist nicht mehr Weltranglistenerster. Seinen minimalen Vorsprung von einem Punkt auf Ma Lin (China) hat er mit dem Viertelfinal-Aus bei den Croatian Open eingebüßt.