landtagswahlen, christlicher fundamentalismus etc.
: Der Kulturkämpfer Roland Koch probt den Aufstand der mentalen Provinz

Using my religion

Wer als Hesse über Hessen spricht, neigt zum Selbsthass. Selbsthass macht dumm, mitunter. So wie bei (anti-)deutschen Linken zum Beispiel, die vor lauter Selbstshass zu Bush-Bellizisten konvertieren. Hessen freilich hat wirklich Hässliches zu bieten: die Sprache, die Böhsen Onkelz, das Essen, Roland Koch. Bei der Landtagswahl gegen Koch zu stimmen ist diesmal auch vielen ein Anliegen, die sich nicht für Politik interessieren. Sie haben ein ästhetisches Problem mit dem hässlichen Hessen. Man mag ja auch keine Kampfhundebesitzer. Schon gar nicht, wenn sie für das uneingeschränkte Recht auf Kampfhundebesitz demonstrieren und zu diesem Zweck ihren Hunden Judensterne aufs Fell tackern. So geschehen vor einigen Jahren in Berlin.

Im hessischen Wahlkampf hielt Roland Koch Ver.di-Chef Bsirske vor, er wolle besser verdienende Deutsche mit dem Stern ächten. Später „entschuldigte“ er sich. Bei Bsirske. Nicht um Entschuldigung bat er Träger des Judensterns, die von deutschen Christen ermordet wurden. Kochs Umfragewerten schaden solche Eklats nicht. Das weiß der Polarisierungsstratege, seitdem er ungestraft „jüdische Vermächtnisse“ erfinden konnte, aus denen Geld in CDU- Kassen geflossen sei.

Gezielt spekuliert Koch mit dem antisemitischen Ressentiment. Wird es manifest, lässt er sich dafür ebenso wenig verantwortlich machen, wie der Initiator einer Kampagne gegen die doppelte Saatsbürgerschaft zur Rechenschaft gezogen werden kann, wenn Leute bei ihm „gegen Ausländer unterschreiben“ wollen. Mit dieser Kampagne hat die CDU die letzte Wahl gewonnen, denn: Hessen ist nicht Frankfurt. Abseits der Metropolen kann sich die CDU auf Traditionsmilieus stützen, wertbeständige Geflechte aus Sport-, Schützen- und Karnevalsvereinen. Und auf barocke Religionskrieger vom Schlage des Fuldaer Bischofs Dyba (R.I.P.), der sich mit heiligem Zorn in den Mikro-Kulturkampf für die christlichen Werte zu stürzen pflegte.

Aufgeklärte Großstädter neigen dazu, Figuren wie Dyba oder den mainfränkischen Christsozialen Norbert Geis, der mit homophoben hate speeches bekannt wurde, als pittoreske Reliquien aus dem Exotarium des Wirtschaftswunders zu belächeln. Dabei übersehen sie die provinzielle Erdung solcher Fundamentalisten. Zumal Provinz in der Stadt beginnt. Nehmen wir Erika Steinbach. Die Frankfurter CDU-Bundestagsabgeordnete gab unlängst ihren Austritt aus der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau bekannt. Schwulenehe und Techno-Partys in der Kirche, too much:

„Die Entscheidung, die die Landeskirche mit der Segnung von Homo-Gemeinschaften getroffen hat, ist ja nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ich habe auch die Techno-Partys in der Katharinenkirche angeführt, die eine unsägliche Gotteslästerung waren. Da hätte Christus mit Stricken die Menschen aus der Kirche geprügelt.“

Neben der Fastnachtshochburg Bornheim vertritt Frau Steinbach auch den Bund der Vertriebenen. Getrieben von revanchistischem Furor, propagiert sie den gegenaufklärerischen Rollback zum gesunden Volksempfinden. Zivilisationsleistungen wie die Säkularisierung der Politik stehen zur Disposition. Beim „religiösen“ Angehen politischer Fragen, das kürzlich sogar der europäische Chefdiplomat Javier Solana der US-Regierung vorhielt – da liegt längst, mit einer alten SPD-Parole: Hessen vorn. Oder, mit einem R.E.M.-Song: Using my religion.

Nach amerikanischem Vorbild formiert sich der Widerstand der mentalen Provinz im hessischen Bible Belt als Rache der normativen Kraft des Faktischen an der zersetzenden – jüdischen – Intelligenz der Frankfurter Schule(n).

Der ehemalige RAF-Anwalt und spätere Justizminister Rupert von Plottnitz, eine Bonvivant-Ausgabe von Otto Schily, bescheinigt der Hessen-CDU, sie sei „schon immer deutschnational bis an den Rand des völkischen Denkens“ gewesen. Der ob seiner großbürgerlichen Allüren, seines großstädtischen Habits und seiner Sprachmacht nicht nur für Jürgen Möllemann zum „ewigen Juden“ prädestinierte Michel Friedman verließ die Hessen-CDU – um der Saar-CDU beizutreten.

Instinktsicher setzt die Partei von Dregger, Kanther, Koch auf phobische Reflexe eines sich bedroht wähnenden Mittelstandes wie auf Neidressentiments deklassierter Modernisierungsverlierer. „Judenstern“ und „jüdische Vermächtnisse“ helfen, Klassenhass antisemitisch zu codieren.

In Wahlkampfzeiten ist alles erlaubt. Sogar Roland Koch, dem man, gleich nach „Ehrlichkeit“, zuletzt „Humor“ attestieren möchte, als supermanneskes Comic-Pin-up. Roko haben die Spin Doctors ihr Baby getauft, nicht ahnend, dass in Roko Deutschlands Zukunft droht. Die hessische Doppelspitze. Kanzler Koch und – Frau nach Rau verzweifelt gesucht – Petra Roth. Die Frankfurter OB wird als künftige Bundespräsidentin gehandelt. Die „nette Frau Roth“ (Daniel Cohn-Bendit) hatte die, pardon, Chuzpe, Ignatz Bubis zu fragen, wie das Wetter so gewesen sei, in seiner Heimat. Der Frankfurter Jude Bubis musste der Frankfurter Christin Roth damals erklären, dass in Israel zwar oft die Sonne scheint, er aber seit Jahrzehnten im Westend wohne.

Als nach seinem Tod eine Mainbrücke nach Bubis benannt werden sollte, versuchte eine Initiative ehrenwerter Bürger, dies zu verhindern. Man könne doch eine Straße im Westend umtaufen, da gebe es doch bereits jüdische Einrichtungen. Prompt klebten die „Republikaner“ Plakate, auf denen nichts stand als: „Ignatz Bubis Brücke!!!“ Die Sache mit dem Judenstern übrigens, so Kochs Regierungssprecher, sei bis zum Wahltag längst vergessen.

KLAUS WALTER