ulrike winkelmann über Golf : Perfekte Paare heiraten
Auch Männer müssen jetzt begreifen: Hochzeiten sind progressiv
Als er sagte, komm, wir gehn zum Juwelier, ich will dir was schenken, dachte meine Freundin Kerstin: Endlich! Er hat’s begriffen! Heißa! Und dann, am gläsernen Tresen, die Enttäuschung: Ein Armband wollte er ihr schenken, keinen Ring. Wir drehen eine weitere Runde durch den Volkspark, ich finde Spazierengehen fürchterlich, aber sie bestand drauf, sie meinte, „draußen habe ich klarere Gedanken“.
Meine werden derweil immer unklarer: Warum will sie eigentlich heiraten? Was soll das? Sie wohnt doch nun schon mit ihm zusammen, er wirkt einigermaßen zuverlässig und führt sich okay auf, und wenn sie vor der Party sagt, zieh den anderen Pulli an, macht er das sogar. Was will sie mehr? Ich murmele den Standardsatz mit dem „staatlichen und kirchlichen Segen für eine Privatangelegenheit, auf den wir doch sonst auch dankend verzichten würden“.
Aber es scheint, als habe der Satz seine Überzeugungskraft verloren: Sie will geheiratet werden. Dass er diese Notwendigkeit nicht sieht, ist ein Zeichen, „dass er einfach nicht erwachsen werden will“. Du liebe Zeit, die Definition von Erwachsensein hat sich seit der Führerscheinprüfung auch schon ein paar Mal verwandelt.
Jetzt holen wir uns schon auf der zweiten Parkbank einen kalten Hintern, weil Kerstin meint, die Sonne scheine einem dabei schöner ins Gesicht. Blasenentzündungsresistenz ahoi. Immerhin schaffen wir es, uns darauf zu einigen, dass es nicht unbedingt um die Heirat selbst geht, sondern um einen großen Schritt, einen großen Vertrauensbeweis, ein großes Etwas. Er soll das große Etwas bringen, das sie davon überzeugt, dass er wirklich, wirklich nur sie haben will.
Sind es kosmische Strahlen? Ein Virus? Liegt es an der Wirtschaftskrise? Alle möglichen Leute sind derzeit von einer Art Wahrnehmungstäuschung befallen: Um sich herum sehen sie lauter perfekte Paare, denen die totale Liebe, die unbedingte Zusammengehörigkeit, der Wille, sich füreinander von Felsen zu stürzen, aus den Augen springt – nur man selbst hat’s mit jemandem zu tun, der noch nicht einmal das große Etwas bringt. Wenn sie bislang noch so freundlich und friedlich zusammenwohnen und -klönen und zusammenebenzusammensind, so fehlt plötzlich dieses entscheidende Dings, und dann machen sie dummes Zeug.
Meine Freundin Ira zum Beispiel setzt mit ebenso leichter Hand wie stählerner Zuverlässigkeit den Selbstzerstörungsmechanismus ihrer Beziehungen immer dann in Gang, wenn er auch im Umfeld den garantiert größten Schaden anrichtet. Die gegenwärtige Unglückssaison hat sie schon dazu genutzt, Stefan erst einmal mitzuteilen, dass er sie sowieso nicht versteht. Nachdem er in tagelanges Nichtmelden verfiel, konnte sie sich ausführlich darüber aufregen, dass er nicht anrief. In Nullkommanichts wurde aus Stefan, dem Trottel, dann Stefan, das Arschloch, und als ich nicht erkennen konnte, was genau dieses harsche Urteil eigentlich begründete, nachdem Stefan sie doch eigentlich noch nie verstanden hatte, galt ich als illoyal.
In dürren, sachlichen Worten umreiße ich Kerstin diesen Vorgang. Vielleicht kommt sie von selbst drauf, was ich ihr damit sagen will. Leider nicht: „Genau!“, ruft sie aus. „Das Schlimmste ist, wenn Freundinnen nicht begreifen, was eine echte Beziehungskrise ist!“ Ich begreife zumindest, dass dieser Spaziergang noch lange nicht beendet ist. Ein Königinnenreich für einen Milchkaffee.
Gerade als ich mir mögliche Fuß-, Ohren- und Nierenleiden ausdenke, die ein sofortiges Einkehren in ein Café erzwingen würden, wird Kerstin so richtig grundsätzlich: „Es geht um nicht weniger“, hebt sie an, „als einen Qualitätssprung. Was sich einmal bewährt hat, kann nicht einfach immer so weitergehen. Männer sehen das nicht, weil sie im Herzen konservativ sind. Mit einer Hochzeit würden sie beweisen, dass sie springen können.“
Okay, das ist ein Geniestreich: den Heiratswunsch zum progressiven Akt umformulieren, das gefällt mir. Jajaja! Frauen haben wenigstens noch Beziehungsehrgeiz! Wo kämen wir hin, wenn man die Paare dieser Welt so vor sich hindümpeln ließe? Ich falle ihr ins Wort: „Eigentlich ist eine Hochzeit pro Mann gar nicht genug! Man müsste Fristen einführen, nach denen neu geheiratet werden muss.“ Sich Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen ausdenken, Zertifizierungsverfahren – die Latte immer höher hängen. Neue Ringe, neue Wohnungen, neue Kinder, alles neu, regelmäßig, sagen wir: alle sieben Jahre.
Überhaupt sind die Dinge manchmal viel klarer, wenn man die Welt kopfstehen lässt. Die Sonne scheint. Heiraten ist fortschrittlich. Spazierengehen im Januar ist sinnvoll. „Ich weiß bloß nicht“, sagt Kerstin, „ob ich ihn überhaupt heiraten will – so begriffsstutzig, wie er ist.“
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