: Wie kommt man von Nizza nach Bagdad?
aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER
Blair, Berlusconi und Aznar sind sauer. Der deutsche Bundeskanzler und sein neuer Freund Jacques versuchen ihnen die Schau zu stehlen. Friedensgesäusel im Dienste der deutsch-französischen Freundschaft. Wäre alles halb so schlimm, wenn die Franzosen im UN-Sicherheitsrat nicht ein Vetorecht hätten. Damit können sie den ganzen schönen Krieg gegen Saddam blockieren. Den feurigen Toreros kann geholfen werden. Es genügt ein Blick in den Vertrag von Nizza, der praktischerweise heute in Kraft tritt.
1. Acht Freunde sollt ihr sein: Nun wissen wir, warum es ausgerechnet acht Staaten waren, die sich vorgestern zusammenfanden, um ein Treuebekenntnis zum transatlantischen Bündnis abzulegen. Das war die Generalprobe für die künftige Avantgarde der Europäischen Union. Bislang musste die Mehrheit der Mitgliedsstaaten sich zusammentun, um gemeinsame Polizeitruppen einzusetzen oder ihre Wirtschaftspolitik enger abzustimmen. Ab heute reicht es, wenn sich acht Regierungen einig sind. Im Mai nächsten Jahres sind Polen, Ungarn und Tschechien schon mit von der Partie. Dann kann die Brieffreundschaft mit Leben gefüllt werden. Und das Schöne daran ist: Ab heute ist die sogenannte verstärkte Zusammenarbeit auch bei Außenpolitik und Verteidigung erlaubt. Friedensengel Schröder kann nicht quer schießen, denn das Veto ist jetzt abgeschafft.
2. Lasst den Präsidenten 25 Flöhe hüten: Von Mai nächsten Jahres an wird es auch in der Kommission lustig zugehen. Dann kommen zunächst 10 Frischlinge zu den derzeitigen 25 Kommissaren hinzu. Keiner weiß, was sie in Brüssel machen – außer Geld kosten. Im darauffolgenden November treten dann die Nizza-Regeln in Kraft: Dann haben auch die großen Länder nur noch einen Kommissar, und die Runde schrumpft wieder auf 25 Teilnehmer plus Kommissionspräsident.
Eigentlich soll die Kommission Gesetze vorschlagen und darüber wachen, dass die EU-Verträge eingehalten werden. Doch braucht die Kommission dafür wirklich 25 Mitglieder? Die teuer bezahlt werden und die fast kein Europäer kennt. Oder haben Sie schon mal den Namen Viviane Reding gehört? Die Luxemburgerin regiert über Erziehung und Kultur. Bereiche also, für die die EU gar nicht zuständig ist. Die acht Toreros muss das alles nicht kümmern. Für ihre außenpolitischen Aktionen genügen acht blaue Telefone mit gelben Sternen drauf. Die Kommission tut das Gleiche wie bisher: Sie regiert den Binnenmarkt.
3. Übertönt das Trio mit einem Außenminister: Wer bestimmt künftig die Leitlinien der europäischen Außenpolitik? Hier ändert sich durch den Nizza-Vertrag gar nichts. Trios und Quartette werden uns erhalten bleiben: Für die Außenpolitik sind der Außenkommissar (bislang Chris Patten), der Hohe Vertreter des Rates (bislang Javier Solana) und der amtierende Ratspräsident sowie ab und an auch der künftige Ratspräsident zuständig. Der Tipp für die acht Freunde liegt auf der Hand: Wählt euch einen gemeinsamen Außenminister für euren exklusiven Club.
4. Verschafft euch eine doppelte oder dreifache Mehrheit: Immerhin wird es künftig leichter, den „Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ zu küren, der im EU-Jargon nur „Mister Gasp“ heißt. Seit heute genügt die qualifizierte Mehrheit – das gilt auch für die Wahl des Kommissionspräsidenten. Bislang herrschte Einstimmigkeit und so konnte ein Ministaat wie Luxemburg die Wahl blockieren. Außer in Personalfragen ändert sich beim Abstimmungsmodus aber wenig. Spanien hat dafür gesorgt, dass die finanziell lukrativen Strukturfonds 2006 ein letztes Mal einstimmig verteilt werden. Dann streiten sich 25 Länder um die Fleischtöpfe und es gibt wieder nette Gipfelfotos von Delegierten, die auf ihren Aktentaschen schlafen.
Für Verwirrung sorgt, dass die doppelte qualifizierte Mehrheit – Mehrheit der Mitgliedsstaaten plus Mehrheit der nach verschiedenen Kriterien gewichteten Stimmen – auf Antrag zu einer dreifachen ausgebaut werden muss: 62 Prozent der Bevölkerung müssen dann zusätzlich zusammenkommen, damit eine Entscheidung Bestand hat.
Bis gestern waren die Regierungen in über siebzig Bereichen zu Einstimmigkeit verdonnert, seit heute sind es dreißig weniger. Die Ratsmitglieder haben weiterhin unterschiedlich viele Stimmen, damit wenigstens teilweise berücksichtigt ist, wie viele Menschen in den Ländern wohnen. So erhält Luxemburg für knapp 400.000 Einwohner künftig vier Stimmen, Deutschland für 80 Millionen Menschen 29 Stimmen. Obwohl Frankreich, Italien und Großbritannien kleiner sind, haben sie auf Gewohnheitsrecht gepocht und ebenfalls 29 Stimmen erhalten. Nach der Erweiterung sind 235 von insgesamt 321 Stimmen für die qualifizierte Mehrheit nötig.
Enttäuschend für unsere acht Toreros, die sicher längst die Taschenrechner gezückt haben: Sie bringen nur 155 Stimmen auf die Waage. Doch stündlich stoßen neue Mitglieder zum transatlantischen Treuebund. Schade nur, dass Lettland und Slowenien mit ihren jeweils vier Stimmen keine großen Sprünge machen können.
5. Ändert den neuen Artikel 7: Das ist die schlechte Nachricht für die acht Toreros: Euro-Rambos wie Jörg Haider oder Silvio Berlusconi müssen sich künftig wärmer anziehen. Die Lektüre des neuen Grundrechte-Artikels könnte vor allem dem schönen Italiener ein bisschen den Spaß verleiden. Bisher kann nur mindestens ein Drittel der Mitgliedsstaaten oder die Kommission prüfen lassen, ob eine Regierung noch auf dem Boden der gemeinsam in der EU akzeptierten Grundwerte steht. Künftig kann das auch das Parlament beantragen.
Sehen vier Fünftel der Regierungen diese Gefahr, kann der Rat von Berlusconi zum Beispiel verlangen, die Unabhängigkeit der Justiz wieder herzustellen oder ein paar Fernsehsender zu verkaufen. Pfeift er auf die Empfehlung, kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit die Mitgliedsrechte aussetzen. Dann gibt es für die juristischen Dienste der Union viele neue Nüsse zu knacken: Was geschieht mit der obersten Heeresleitung der acht Toreros? Muss Italien seine Truppen aus Irak zurückziehen?