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Mir kaufet nix

In der Reihe „Neue deutsche Filme“: Dominik Wessely erkundet in seinem Dokumentarfilm „Die Blume der Hausfrau“ die Psychologie einer prototypischen Berufstätigkeit am Beispiel schwäbischer Staubsaugervertreter

Die Firma Vorwerk macht aus Sauberkeit ein Geschäft. Ein Haustürgeschäft, denn ihre Staubsauger Marke Kobold sind ausschließlich im „Direktvertrieb“ erhältlich. Regisseur Dominik Wessely hat das 1998 in einem Film beobachtet. Er verfolgt ein Team von fünf Vertretern auf Schritt und Tritt. Und dabei kristallisiert sich durch viele Blicke in Wohnzimmer und unter Sofas eine frappierende Sozialstudie heraus, die zugleich der wohl lustigste deutsche Film der letzten Jahre ist.

Das liegt unter anderem daran, dass es sich beim Einsatzgebiet der „Fachberater“ ums Stuttgarter Umland handelt. In Schwaben, diesem sprichwörtlichen Mekka des Putzfimmels, hat man die Kehrwoche erfunden, aber auch den Geiz. Gegenüber dem Kobold stecken die schwäbischen Kunden deshalb in einem strukturellen Double bind zwischen Kaufenwollen und Nichtkaufenwollen, was für spannenden Konfliktstoff sorgt.

Es gehört viel Geschick dazu, ungebeten zu klingeln, die Hausfrau in ein Gespräch zu verwickeln und ihr eines der teuren Geräte oder wenigstens eine Hand voll Zubehör aus dem unerschöpflichen Sortiment aufzuschwätzen. Und ihr dabei das Gefühl zu geben, ihr werde überhaupt nichts aufgeschwätzt. Am Anfang steht eine Charme-Offensive. Denn natürlich sind die Kunden meistens Kundinnen. Mit wenigen Ausnahmen, zu denen Regisseur Wessely selbst gehört: Er fühlte sich nach eigenem Bekunden von einem solchen Verkaufsgespräch so gut unterhalten, dass er das eingelassene Badewasser kalt werden ließ und sich später zu diesem Filmprojekt entschloss.

Die Mitarbeiter des Teams wiederum sind abgesehen von ihrem Anführer allesamt Italiener. Das Latin-Lover-Image nutzen sie gerne aus und wickeln die Hausfrauen in leicht italienisch gebrochenem Schwäbisch schneller um die Finger, als man bis drei zählen kann: schauspielerische Naturtalente, die vor der Kamera noch mehr aufzublühen scheinen. Ihre Rhetorik erklimmt dabei manchmal poetische Höhen wie in der Stegreifmetapher „die Blume der Hausfrau“ für einen Staubwedelaufsatz. Im Normalfall sind die Gesprächstechniken aber vorgestanzt. Ein Vertreter beginnt einen Satz, und der unbarmherzige Filmschnitt führt uns in eine andere Wohnung, wo ein anderer das Argument fortsetzt.

Dabei kommt auch das Menschenverachtende der Ideologie zum Ausdruck, die hinter dem Verkaufen steckt. Denn bei aller Komik sind die Verkaufssituationen zugleich von abgründiger Trostlosigkeit. Die Frauen genießen die Aufmerksamkeit als Surrogat sozialer Kommunikation. Eine Sozialhilfeempfängerin zieht das Gespräch in die Länge, obwohl sie nichts kaufen kann. In ihrem Bedauern kommt die ganze Misere der Mittellosigkeit zum Ausdruck. Dass sie den Besitz eines Kobolds als Symbol sozialer Integration sieht, lässt um so mehr erschauern.

Ebenso bezeichnend die Motivationsstrategie innerhalb der Firma. Der Anführer („Grüß Gott, mein Name isch Widule: wie Ichle, nur wie Dule“) spornt die anderen zu Höchstleistungen an. Für jeden Abschluss gibt es Punkte in einem internen Ranking. Die Hierarchie unter den Verkäufern ist eindeutig: BMW, Kleinwagen, kein Wagen. Wir sehen einen Loser bei erfolgloser Klinkenputzerei in tristen Hochhaussiedlungen, wir sehen den Mitarbeiter des Jahres Widule bei der realsatirisch grotesken Jahresabschlussgala, wie er einen Pokal bekommt und sich eine Zigarre ansteckt. Nicht nur die übertölpelten Käufer sind Opfer. Schade, dass der Film diese Problematik in schmunzelnde Heiterkeit aufzulösen versucht, indem er seine Protagonisten durch ästhetisierende Montage und durch den westernartigen Soundtrack zu heroischen Cowboys der Vorstädte stilisiert.

Jakob Hesler

Do (in Anwesenheit des Regisseurs), 20 Uhr, Zeise

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