: Wohnen unten am River
Mit „Floating Home“ hat die Wasserstadt GmbH schöne Ideen für futuristische Hausboote gefördert. Dass diese nun gleich an der Rummelsburger Bucht und in Spandau vermarktet werden, ist Unsinn
von ROLF LAUTENSCHLÄGER
Es kommt eher selten vor, dass sich eine Stadtentwicklungsgesellschaft gemeinsam mit Investoren auf ein Experiment einlässt. Zumal auf ein solches und unter der Federführung des holländischen Architekten Herman Hertzberger, der für eine ungewöhnliche, unangepasste Handschrift bekannt ist. Wenn es noch, wie in diesem Fall, darum geht, für die freien Ufer- und Wasserflächen der Rummelsburger Bucht und am Spandauer See futuristische Hausboote – so genannte Floating Homes – zu entwerfen, konnte man gespannt sein auf das Ergebnis. Denn das Sujet ist, ebenso wie das Objekt Hausboot, besetzt von einer fast mythisch-romantischen Dimension – die nostalgisch-folkloristische Variante mit eingeschlossen.
Wohnen auf dem Hausboot entzieht sich der bürgerlichen Vorstellung vom festen, dauerhaften Wohnsitz und -ort. Mit dem schwankenden und beweglichen Kahn und seinen Bewohnern verbinden sich die Attribute des Mobilen, Nichtsesshaften und Anarchischen. Man denke an Tom Sawyer und seinen Kumpanen Huck Finn, an die Romane von Jules Verne, die frühen Reportagen von Georges Simenon auf den belgisch-französischen Kanälen sowie die Beschreibungen seiner unsteten Protagonisten und nicht zuletzt an die bekannte Amsterdamer Szene, die auf Grachten in bunten Hausbooten, mit einem manchmal süßlichen Duft in der Luft, herumschippert. Leben auf dem Wasser – und „unten am River“ – geht einher mit einer erträumten Freiheit, dem weiten, unverstellten Blick, jenseits vom festen Boden unter den Füßen.
Umso mutiger war es, dass die Entwicklungsgesellschaft Wasserstadt „schwimmende Häuser“ in ihr Konzept der Bebauung der Rummelsburger Bucht und des Spandauer Sees nun einbeziehen will, kommen doch die in Spandau und Friedrichshain entstandenen städtebaulichen Formen aus großen Blöcken nicht über das konventionelle Maß hinaus. Die „Architektur auf dem Wasser“, so Geschäftsführer Uli Hellweg, könne die bestehende Ufergestaltung bis ins Wasser verlängern und so „mit besonderen Formen von Freiheit“ die „Wasserflächen in den Kontext des Städtebaus“ mit einbeziehen. Wo die Flächen am Land sowieso immer dichter besiedelt werden, liege die Zukunft eh auf dem Wasser, glaubt Hellweg.
15 Teams hat die Wasserstadt GmbH Mitte 2002 eingeladen, um einen Anstoß für neuen Formen des Wohnens in Berlin zu erarbeiten. Unter der Regie von Hertzberger gemeinsam mit Investoren für das Projekt blieben sieben Architektenteams schließlich übrig, deren elf Projekte für die „Floating Homes“ von der Wasserstadt jetzt ausgestellt wurden – und nun der Umsetzung harren.
Dass die Idee zu „besonderen Formen“ nicht schlecht war, zeigen die Projekte. Spielerisch haben die Architekten Wassersiedlungen von acht bis zwölf schwimmenden Häusern gestaltet, die auf Pontons ruhen und über Stege in Zweier- oder Vierergruppen ans Land angedockt sind. Spielerisch wurde mit dem Vorbild Hausboot ebenso umgegangen wie mit den maritimen Formen aus Schiff, Deck oder Kapitänskajüte. Das schwimmende mobile Vorbild zitieren die Gruppen auch: die Hausinseln hängen am Anker, drehen sich nach dem Stand der Sonne oder lassen sich auch verschippern.
„Zwei Welten“ (Grüntuch/Ernst Architekten mit Hansa Projektmanagement) etwa bildet eine Symbiose aus Schiff und Haus, gleicht es doch einer zweistöckigen überdimensionierten futuristischen Motorjacht mit Sonnendeck und den Schlafräumen hinter Bullaugen unter der Wasserlinie. „Drei Balkonetagen“ (Gorenflos mit Haus und Grund GmbH), eine zweigeschossige flexible Raumfolge, erinnert an ein Bootshaus, eine Fähre samt Badeterrasse einer altehrwürdigen Badeanstalt. Die Seitenwände sind weitgehend geschlossen, während das Hausboot zum See und Ufer hin sich öffnet. „H2O“ (Förster/Trabitzsch Architekten) oder „Bereit zur Sonnenwende“ (Engel/Zillich Architekten mit P.R.-Projektmanagement) – einer auf den ersten Blick wie Öltanks anmutenden Anlage – lassen die Formsprachen des Wassers, von Schwimmpontons oder der Seeflora erkennen, drehen sich doch die zweistöckigen Sonnenwende-Häuser wie Seerosen dem Licht zu.
Als Experiment, Modell und Versuch mit zukünftigen Hausbootvarianten zu laborieren, wären die Arbeiten Anreiz genug, über neue Wohnformen nachzudenken und damit weiter zu operieren. Die Entscheidung, sie gleich von Investoren für die Wasserstadt GmbH „vermarkten“ zu wollen, macht aus dem Spiel Ernst, der nur schadet.
Vielleicht sind die mangelhaften Erfolge und finanziellen Super-Gaus der Wasserstadt GmbH Motivation gewesen, sich jetzt mit einem letzten exotischen Projekt, die nötigen Meriten doch noch verdienen zu wollen. Es wird schief gehen – schon wegen der teuren unausgereiften Entwicklung. Zwischen 320.000 und 540.000 Euro soll ein Hausboot kosten. Der Charme des Anarchischen wird damit ebenfalls auf der Strecke bleiben, werden doch Jachtbesitzer statt alternative Hausbootfreibeuter den Preis bezahlen können. Sie, die Väter und Mütter der Hausboote, hat man vergessen.