: Aus dem neuen Europa
Polen fährt einen proamerikanischen Kurs, weil es künftig einmal als Moderator in den transatlantischen Beziehungen auftreten will. Das kann die Beziehung zur EU gefährden
Die Stimmung in Sachen Irak ist in Polen nicht viel anders als in Deutschland und überhaupt in Europa. Die meisten, genau 51 Prozent, sind gegen den Krieg, auch wenn sich erwiese, dass der Irak über Massenvernichtungswaffen verfügt. Fast zwei Drittel der Polen sind gegen eine polnische Beteiligung am Krieg – nur ein Viertel ist dafür, es sei denn, man will nur Ärzte und Krankenpfleger schicken. Lediglich 40 Prozent der Polen befürworten eine eventuelle Errichtung amerikanischer Militärstützpunkte in Polen, und nur 50 Prozent würden den Amerikanern Überflugrechte gewähren.
Doch bei der jungen Generation – und das ist möglicherweise ein Unterschied zu jungen Deutschen – sind auch viele der Kriegsgegner für die Erfüllung der militärischen Pflichten in der Allianz, wie generell die jungen Polen viel bündnistreuer sind als die alten, die noch die Zeit des Warschauer Vertrages in Erinnerung haben. Die vorherrschende Haltung der jungen Generation fasst die Warschauer Polityka in ihrem Rapport wie folgt zusammen: Make love not war, Antiglobalisierung und Restbestände der Hippiekultur seien immer noch cool, doch man lebe eben in einer Welt, in der es bestimmte Spielregeln und Institutionen gebe, die für uns in anderen Bereichen nützlich seien, daher müsse man dem Bündnis Tribut zollen. Dahinter verberge sich etwas von der Schlitzohrigkeit eines Schweyk: „Den Etappenhengst spielen, weit weg von der Frontlinie, doch, wenn es sein muss, dafür stimmen. Aber in den Krieg sollten Profis und Freiwillige ziehen. Schließlich werde es in Polen irgendwelche harten Kerle geben, nicht näher bestimmte Military-Freaks, die dann mit dem Aufnäher ‚Poland‘ in den Feldstäben und -lazaretten angeben möchten. Damit wäre unsere Beteiligung abgehakt.“
Amerika ist bei den jungen Polen zwar immer noch in, und der 11. September löste eine Welle des Mitleids und der Sympathie im ganzen Land aus, als ob mit den WTC-Türmen auch ein Stück des polnischen Traums in Schutt und Asche zerfallen sei. Doch das martialische Outfit der Bush-Regierung erscheint in Polen nicht mehr als so sexy wie früher, und ihr Auftreten bringt Begriffe in Umlauf, die noch vor kurzem undenkbar gewesen wären: imperiale Gelüste, Arroganz von Raketenmachos. Und die intellektuellen Rechten beginnen die schwersten Geschütze gegen den American way of life aufzufahren. Vor wenigen Wochen erschien in einem Verlag der polnischen „Konservativen Revolutionäre“ ein Remake des alten Bestsellers von Henryk Sienkiewicz „Quo vadis“. Diesmal geht es aber nicht um die Verfolgung der Christen im Rom zur Zeit Neros, sondern um den Kampf der zu einer Sekte zusammengeschrumpften Christenheit gegen die „Konsumdiktatur“ im einzigen Staat auf Erden Anfang des 22. Jahrhunderts, in den USA, deren Präsident absichtlich eine Wirtschaftskrise verursacht, um den Fortschritt zu beschleunigen und die Christen als Protestbewegung zu beseitigen … Ein Gesinnungswandel im sonst so amerikaverliebten Polen?
Nicht ganz. Amerika ist beliebt, und Amerika gilt als ein zuverlässiger Verbündeter im Vergleich zu den ständig zerstrittenen, zaudernden und egomanischen Europäern. Die europäische Impotenz angesichts des Gemetzels in Jugoslawien wurde in Polen sehr genau wahrgenommen. Auch gegenüber Russland erscheinen die Westeuropäer vielen Polen als zu nachsichtig – zum Beispiel im Falle Tschetscheniens, aber auch wenn sie über eine EU-Mitgliedschaft der Türkei, nicht aber der Ukraine nachsinnen. So gehört es seit kurzem zur Faustregel der polnischen Politik, exzellente Beziehungen zu den USA zu unterhalten, auch um den Preis, dass man in den westeuropäischen Hauptstädten als „Trojanisches Pferd Amerikas“ scheel angesehen wird. Mittel- und langfristig wird Polen dadurch in der EU aufgewertet und wird man eine stärkere Position bei der Mitgestaltung der künftigen Ostpolitik der EU haben, lautet die strategische Überlegung in Polen. Ob das für jenes „neue Europa“ ausreicht, mit dem der amerikanische Verteidigungsminister Deutschland und Frankreich brüskierte, ist fraglich. Die Wunschvorstellung in Warschau ist, einmal als Moderator und Bindeglied bei den transatlantischen Meinungsverschiedenheiten auftreten zu können.
Daher auch der radikal proamerikanische Kurs der polnischen Politiker in der Irakkrise. Sie lehnten sich sehr schnell und sehr weit in Richtung Amerika aus dem Fenster. Schließlich habe man Amerika in der Vergangenheit auch einiges zu verdanken. Allerdings geht es nicht nur ums Sentiment, sondern auch ums Kalkül: Man wünscht sich ein stärkeres wirtschaftliches Engagement der Amerikaner in Polen, wozu der Kauf der amerikanischen F-16-Abfangjäger und die Modernisierung der polnischen Flugzeugindustrie den Auftakt bilden sollen. Der polnische Ministerpräsidenten Leszek Miller sprach darüber mit Präsident Bush ausgerechnet während der Rede Colin Powells vor dem UN-Sicherheitsrat. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass für einen konservativen Präsidenten der USA ausgerechnet die polnischen Postkommunisten und Neosozialdemokraten nun bevorzugte Partner und Alliierte in Ostmitteleuropa sind.
Für enge amerikanisch-polnische Beziehungen gibt es sicher viele gute Gründe.Was dabei aber nicht zu kurz kommen darf, ist die Einbettung Polens in die EU und die weitere Vertiefung der deutsch-polnischen Beziehungen. Man braucht viel Takt, Einfühlungsvermögen und gegenseitiges Vertrauen, wenn man als relativ schwacher und neuer Partner im großen Spiel der Mächte diesseits und jenseits des Atlantiks in den Streit zwischen zwei zerstrittene Parteien gerät. Die eindeutig proamerikanische Haltung des polnischen Regierungschefs wie auch des Staatspräsidenten ist nicht an sich falsch, sie ergibt sich aus der Geschichte und aus der geopolitischen Lage Polens. Bedenklich ist nur, wenn dadurch die deutsch-polnischen Beziehungen Schaden nehmen sollten.
Zweifellos braucht Polen Amerika, es darf aber seinen westlichen Nachbarn nicht vernachlässigen, selbst wenn man gelegentlich anderer Meinung ist. Es ist schade, dass die Telefonleitungen von Warschau nach Berlin in den letzten Wochen, und vor allem vor dem „Aufruf der Acht“, nicht funktionierten. Es gibt ja Gebote der Loyalität und der persönlichen Freundschaft, wie wir alle gesehen haben, als Leszek Miller und Gerhard Schröder sich vor dem Gipfel in Kopenhagen privat in Hannover und danach in Warschau trafen.
Selbst wenn der amerikanische Verteidigungsminister Europa in ein altes und ein neues auseinander dividiert und die amerikanischen Medien die „abtrünnigen“ Deutschen und Franzosen durch den „Aufruf der Acht“ umzingelt sehen, darf Polen nicht bei der Spaltung helfen, sondern muss vielmehr die Einigung seiner Alliierten und Freunde betreiben. Das war ja der Sinn der proamerikanischen Position Polens. Nach der entsprechenden Form dafür wird allerdings erst noch gesucht.
ADAM KRZEMIÑSKI