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Archiv-Artikel

Erweckung der Langsamkeit

Der Bremer Musikschreiber Uwe Rasch setzt sich in seiner Komposition „sprich:naiky“ ironisch mit Turnschuhen und Fortschrittsdenken auseinander. Jetzt erklang sie beim Stuttgarter Festival „Eclat“

„Die Notation istja auch keine Spinnerei von mir“ „Ich komme von der Rock- und Popmusik, nicht aus einem bürgerlichen Haus“

Zu schwer ist seine Notenschrift. Auch bleibt in der Regel einfach zu wenig Zeit, um die Spielanweisungen zu entziffern und in ein klingendes Ergebnis umzusetzen: Für den 1957 geborenen Bremer Uwe Rasch ist es nicht selbstverständlich, dass seine Kompositionen auf den einschlägigen Festivals gespielt werden. Rasch, inzwischen Musiklehrer am Alten Gymnasium, bleibt gelassen: „Irgendwann passiert’s dann doch.“

So jetzt beim „Eclat“-Festival in Stuttgart. Dort wurde am Samstag „sprich:naiky“aufgeführt. Und zwar vom Klangforum Wien. Das gilt als eine der feinsten Adressen in Sachen zeitgenössische Musik. Entstanden ist Raschs Stück bereits 1995. Zunächst als Streichtrio komponiert, aber von namhaften InterpretInnen abgelehnt, wurde es – erweitert um eine Bläserbesetzung und Schlagzeug – im Jahr 2000 vom Klangforum Wien ausgewählt. Als eines von sechs Werken, die das Ensemble ins Repertoire aufnehmen wollte. Nur eine Uraufführung gab es dann doch nicht: zu schwer.

Dann, 2001, erhielt die Komposition den Elisabeth Schneider-Preis. Damit war die Uraufführung durch das Freiburger Ensemble Aventure verbunden.

Jetzt nahm das Klangforum Wien einen neuen Anlauf für die Aufführung der ursprünglichen Fassung. Mit einem erstaunlichen Ergebnis: „Was ist Ihnen denn da eingefallen“, stöhnte zunächst Dirigent Mark Foster und sagte nach der ersten Probe: „Das ist ja so homogen wie Richard Strauss“, womit er allgemeines Gelächter auslöste.

Um was geht’s? In „sprich:naiky“ sind Fingerbewegungen notiert, nicht das klingende Ergebnis. So müssen die Streicher ihre gewohnte Koordination linke und rechte Hand zerreißen, einen „Fingertanz“ aufführen, die Bögen kreisende Bewegungen vollziehen. Takte gibt es nicht, stattdessen in Sekunden und Minuten markierte Abschnitte.„Ich habe Klangvorstellungen, die mich zu solchen Forderungen veranlassen“, sagt Uwe Rasch, der fasziniert ist von den ständigen Mischungen von Geräusch und Ton.

Rasch steht durchaus in bester Tradition: Wichtige Kompositionen galten ursprünglich als unspielbar – die späten Beethoven-Quartette etwa. „Die Notation ist ja auch keine Spinnerei von mir, sondern findet ihre Entsprechung in Klangergebnissen.“ So geht es in „sprich:naiky“ um die Skepsis gegenüber gradliniger Fortschrittsgläubigkeit. Hier bezieht sich Rasch auf den Symbolgehalt der berühmten griechischen Plastik „Nike von Samothrake“, die für Fortschritt, Entschlossenheit, Sieg und Schnelligkeit steht.

Sie lebt noch heute weiter. Ihre aktuelle Ausprägung hat sie im Namen des Sportartikel-Herstellers Nike – sprich:naiky – gefunden. „Diese Turnschuhe sind synomym eines Moderneverständnisses, das mir suspekt ist.“ Deshalb verwende er als Ausgangspunkt einen Ausschnitt aus dem „für mich grandiosesten Stillstellungsprozess in der Musik: dem langsamen Satz in Schuberst Streichquintett“. Ein weiteres Moment im Werk Uwe Raschs ist die verlangte körperliche Präsenz, mit der viele InterpretInnen schwer zu Rande kommen. „Ich komme von der Rock-und Popmusik“, bekennt er, „nicht aus einem bürgerlichen Haus mit klassischer Musik. Mich hat körperliche Intensität von Musikmachen als eine Art Theater immer interessiert.“ Rasch, der sich in Ermangelung eines Kompositionsstudiums „Musikschreiber“ nennt, hat für seine „Kafka-Triologie“, deren Teil „Korridor“ in Bremen beim Festival „Pro Musica Nova“ 1996 uraufgeführt wurde, den „Körpertrommler“ erfunden. Der kommt – ausgestattet mit Fingerkameras und Mikrofonen auf dem nackten Leib – nie vom Fleck: Seine Schuhe sind am Boden befestigt.

In „Adieu den Adieus“, aufgeführt vor zwei Jahren im Bremer Dom, gibt es eine Rhönradfahrerin, eine Keulenschwingerin, einen Postwagen. „Mir war aufgefallen, dass so viele MusikerInnen zwar wunderbar spielen“, so Rasch, „aber etwas Körperliches ausführen, womit sie nichts zu tun haben.“ Dort habe er angesetzt. Was er glaube beim Hörer damit zu erreichen? „Direkt natürlich nichts.“ Er verstehe seine Musik als „Angebot in Sachen Intensität: Wir leiden unter nichts mehr, als dem Mangel an Intensitäten.“ Mit der Reaktion in Stuttgart ist Rasch zufrieden: „Nur einer ist rausgegangen. Der Beifall war mittelmäßig“.

Ute Schalz-Laurenze