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Archiv-Artikel

buchtipp Perspektiven

Multikultur

Birgit Rommelspacher ist taz-Lesern bekannt. Die Professorin für Psychologie mit dem Schwerpunkt Interkulturalität und Geschlechterstudien schreibt über Rassismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus und über ethnische Minderheiten im Verhältnis zur Mehrheit. Nun hat sie ein Buch über „Anerkennung und Ausgrenzung. Deutschland als multikulturelle Gesellschaft“ geschrieben. Ihre Fragestellung: Welche Hintergründe haben Konflikte zwischen Kulturen, welche Interessen sind mit Fremdheitskonstruktionen verknüpft?

Ihre Analyse von Selbst- und Fremdbildern konfrontiert sie mit gegenwärtigen Debatten über kulturelle Differenzen. So diskutiert sie beispielsweise die historischen Hintergründe und aktuellen Gegebenheiten des „Feindbildes Islam“ oder der „Kopftuchdebatte“ in Deutschland. Der Blick auf die Anderen, so ihre These, drückt stets auch eigene innere Widersprüche und gesellschaftliche Tabuisierungen aus. Zentral sind dabei die vielschichtigen Zusammenhänge von Kultur, Geschlecht und Religion.

Kernthema ihrer Analyse ist aber auch die Unterscheidung zwischen den „Spätgekommenen“ und jenen, die „zuerst da waren“. Letztere fordern die Macht, die sie per Ausgrenzung behaupten: So sind es beispielsweise immer noch die „Ost-Laien“, die den „West-Experten“ als Ungleichwertige gegenüberstehen. Bei der Produktion von Fremd- und Feindbildern stellt die Autorin nicht zuletzt das Leistungsprinzip innerhalb der Gesellschaft kritisch in Frage: Im neoliberalistischen Ton werden Gleichheit der Chancen und Möglichkeiten vorgespielt.

Der politischen Frage, wie Menschen an einem Ort miteinander leben können, wie mit Differenzen gerecht umzugehen sei, geht Birgit Rommelspacher in ihrem Buch Schritt für Schritt nach. In kritischer Weise diskutiert sie divergierende Konzepte des Multikulturalismus. Ihre Analyse ist keineswegs nur beschönigend. So etwa, wenn sie das kanadische Multikulturalismuskonzept oder das Konzept der Affirmative Action in den USA kritisch darstellt und dessen Übertragbarkeit auf Deutschland reflektiert.

Rommelspacher zeigt aber auch Perspektiven. Sie forciert ein bestimmtes Modell des Zusammenlebens. Entgegen dem Postulat vom „Kampf der Kulturen“ spricht sie sich für die Form des „kritischen Multikulturalismus“ aus. Dieser hinterfragt nicht nur die Bedeutung von Ethnizität, sondern auch die Mechanismen, die Kulturen und Menschen als jeweils Andere kategorisieren. Ein kritischer Multikulturalismus setzt aber auch die gleichberechtigte politische Partizipation aller Menschen voraus. Und dazu gehört auch: „die Stimme der Anderen zu hören und ihre Perspektive aufzugreifen“.

Rommelspacher führt eine komplexe Auseinandersetzung, und ihr Buch gibt einen breiten, vielschichtigen theoretischen Einstig in die Diskussion um die multikulturelle Gesellschaft. GUDRUN PERKO

Birgit Rommelspacher: „Anerkennung und Ausgrenzung. Deutschland als multikulturelle Gesellschaft“. Campus, Frankfurt a. M. 2002, 236 Seiten, 21,50 €