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Archiv-Artikel

nebensachen aus madrid Der große Bazar

Marktsegmente und Konjunkturen im Straßenhandel

Madrid gleicht immer mehr einem großen Bazar. Die traditionellen Los-Verkäufer der Blindenlotterie und die Schuhputzer haben Gesellschaft bekommen. Auf Gehsteigen, Plätzen, in Parks und U-Bahn-Stationen breiten hunderte von fliegende Händler täglich ihre Teppiche aus: Lange Reihen von Bettlaken, auf denen sich die immer gleichen Produkte wiederholen, und doch geht die Kundschaft nicht aus.

Jetzt im Winter sind dicke Pullover angesagt. Plötzlich füllen Frauen in der typischen Tracht der Anden-Indios überall die Straßen. Sie bieten die grobe Strickware in kräftigen Farben feil. Dazu gibt es kratzige Mützen. Vor etwas mehr als einem Jahr tauchten sie auf. Mittlerweile scheinen sie sich etabliert zu haben. Im Sommer wechselten die Andinas zu kleinen Täschchen, in denen die Neo-Hippies von heute statt dem Pfeifchen das Handy aufbewahren.

Schnickschnack als Statussymbol für die Jungen gibt es auf anderen Decken. Schwarzafrikaner verkaufen Handyhüllen für die zwei, drei beliebtesten Modelle. Wassertropfen, Spinnennetz, Herzchen, Horrorzeichnungen oder ein Cannabisblatt für besagte Neo-Hippie-Tasche. Den Ideen der Designer sind keine Grenzen gesetzt.

Am unerklärlichsten ist das Geschäft der Asiaten. Weihnachten vor einem Jahr waren die Straßen des Stadtzentrums plötzlich fest in den Händen von pakistanischen Händlern. Sie boten alle die gleichen pastellfarbenen Kaschmirschals zu Schleuderpreisen an. Zwei Wochen, dann war der Spuk vorbei. Keiner weiß, woher sie kamen oder wohin sie gegangen sind.

Doch das beliebteste Produkt sind die raubkopierten Musik-CDs. „Top-Manta“ – zu Deutsch etwa Decken-Hit-Parade – nennen die Madrilenen dieses Phänomen. Für viele Immigranten aus allen Herren Ländern ohne Aufenthaltsgenehmigung und damit ohne Aussicht auf Arbeit ist der Musikverkauf der erste Versuch, sich ein paar Euro zu verdienen. Die Schlager der in- und ausländischer Stars werden immer topaktuell angeboten – so manches Mal sogar schon vor dem offiziellen Erscheinungsdatum. Millionen von CDs werden jährlich auf Madrids Straßen verhökert.

Wer den kopierten Schlager der Saison erstanden hat, kann dann gleich nebenan das ganz besondere Zubehör für den Ghettoblaster kaufen. Frauen aus Ecuador haben sich auf diese Marktlücke gestürzt. Eine Mickymaus oder einen Bart Simpson, die im geraubten Takt hüpfen. Sie sind aus dünnem Karton und werden mit einem Saugnapf an die Wand gepappt. Ein Mikrochip bewegt sie dann am Faden zum Rhythmus des letzten Caribe-Mix. REINER WANDLER