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Archiv-Artikel

„Beim ersten Mal wurde er laut“

Wie ist es eigentlich, mit Nicolas Cage zu arbeiten? Der Regisseur Spike Jonze im Gespräch über die Probenarbeiten für seinen Wettbewerbsfilm „Adaptation“, die Schwierigkeiten, die Doppelrollen bedeuten können – und darüber, wie man sich in einem verwirrenden Drehbuch zurechtfindet

taz: Herr Jonze, Nicolas Cage hat in „Adaptation“ eine Doppelrolle: Er spielt die Zwillingsbrüder Charlie und Donald Kaufman. Beide schreiben Drehbücher. Der eine, Charlie, ist nervös und unsicher, der andere, Donald, ist gewinnend und frei von Selbstzweifeln. Wie war es, Cage als Regisseur anzuleiten?

Spike Jonze: Wir nahmen uns drei Wochen Zeit zum Proben. Beim Dreh ist die Zeit so kostbar, daher wollten wir vor dem ersten Drehtag genau wissen, wer die Figuren waren und wie ihre Beziehung zueinander aussah. Also kam Nicolas Cage in mein Büro, wo wir einen Arbeitstisch und ein Bett hergerichtet hatten, eine Art Version des späteren Filmhauses in einem Zimmer. Ich hatte eine Videokamera, wir redeten über die Figuren, und wir improvisierten.

Wie muss man sich das vorstellen?

Ich war Charlie, er Donald, und dann umgekehrt. Ich gab zum Beispiel folgende Szene vor: Charlie kommt heim, Donald hat gerade einen Anruf von Charlies Versicherungsagentin entgegengenommen und dabei mit ihr geflirtet. Wir improvisierten dann, wie die beiden über den Vorfall reden würden. Wie nervös würde Charlie werden? Würde er seinen Bruder direkt angehen, oder würde er sich eher passiv-aggressiv verhalten? Und wie würde Donald auftreten? Als Gegenspieler? Ganz aufrichtig und unschuldig? So probten wir anstelle der Dialoge eher das Leben und die Geschichte der Figuren. Er war Charlie, ich Donald. Ich sagte: „Die Agentin ist süß.“ Er: „Was soll das heißen? Was hast du zu ihr gesagt?“ So ging es hin und her, ein paar Mal, beim ersten Mal reagierte er, indem er laut wurde. Wir redeten hinterher darüber, ich sagte: „Ich weiß nicht, ob Charlie seine Wut so offen zeigen würde. Er ist zwar nervös, aber er hält sich zurück.“

Wie war es dann beim Drehen, besonders bei den Einstellungen, die beide Brüder in einem Filmbild zeigen?

Beim Drehen hatten wir manchmal ein Double für den Bruder, den Cage gerade nicht spielte. Wenn es eine Einstellung war, in der später beide Brüder zu sehen sein würden, kam die Stimme des jeweils anderen vom Band. Cage spielte, indem er sich vorstellte, was sein Gegenüber tun würde. Er musste wissen, wie er den leeren Stuhl ihm gegenüber ansehen musste und was der andere Bruder gerade tun würde beziehungsweise was er schon getan hatte. Manchmal bin ich eingesprungen, zumal wir ja während der Proben gemeinsam diese Beziehung zwischen Charlie und Donald erarbeitet haben. So konnte ich in Donalds oder in Charlies Rolle schlüpfen und Nicolas dadurch unterstützen.

Kam Cage je durcheinander? Kamen Sie je durcheinander?

Ich nicht, weil ich von außen auf die Sache blickte. Wenn ich Regie führe, denke ich nicht an mich. Ich beobachte die Figuren, und dabei weiß ich: Diese Sache geht in Ordnung, jene nicht. Die Herausforderung liegt eher darin zu vermitteln, was ich von den Schauspielern möchte. Es fällt mir manchmal schwer, die richtigen Worte dafür zu finden.

Für Nicolas war das anders. Ein Teil seines Kopfes musste darüber nachdenken, was der andere Bruder tat: „Wenn er aufsteht, muss ich mich nach ihm umdrehen, weil der Stuhl ein Geräusch gemacht hat.“ Zugleich ist er in der Figur drin und bezieht sich von dort aus auf seinen Bruder. Ich glaube, das hat ihn schon verwirrt. Aber an diesem Punkt konnte ich weiterhelfen, indem ich zum Beispiel sagte: „Hier ist Charlie. Er ist gerade von einem Treffen mit seinem Agenten zurückgekommen. Er fühlt dieses, er denkt jenes.“ Dann wusste Nicolas weiter.

War es für Cage schwierig, dass der reale Charlie Kaufman beim Dreh in der Nähe war?

Ja. Vor allem in den ersten Wochen. Denn Charlie schrieb zwar schon an einem neuen Buch, aber wenn wir ihn brauchten, kam er vorbei. Zum Beispiel, wenn wir Dialoge umschreiben wollten. Sobald er dort war, war die Atmosphäre angespannt. Charlie schaute Nicolas an und sagte sich „Imitiert er mich? Wie sehr macht er mich nach?“ Nicolas schaute Charlie an und sagte sich: „Mein Gott, er urteilt über mein Schauspiel.“ Diese Ängste und Spannungen waren aber gut, zumindest in manchen Szenen, weil sie zur Unsicherheit der Filmfigur Charlie Kaufman beitrug.

Hatte Meryl Streep während des Drehs Kontakt zu Susan Orlean?

Nein.

Aber hinterher haben die beiden sich kennen gelernt?

Ja. Es war nicht wichtig für Chris Cooper oder Meryl Streep, Laroche oder Orlean zu treffen. Denn sie sollten diese Menschen nicht verkörpern, sondern Figuren schaffen. Hätten sie sich kennen gelernt, hätte das nur ein überflüssiges Element hinzugefügt. Und es hätte ein Verantwortungsgefühl gegenüber der realen Person geweckt. Vielleicht wäre es auch nur unbewusst gewesen, aber Meryl Streep hätte sich Susan Orlean gegenüber verpflichtet gefühlt. Ein Teil des Filmes kreist jedoch um die Idee, dass die Adaption eines Buches niemals das Buch sein wird. Teil des Filmemachens war es, diese Figuren zu erschaffen.

Aber für Nicolas Cage war es anders?

Ja. Denn er und Kaufman würden sich ja ohnehin begegnen, daran ging kein Weg vorbei. Ich dachte auch, der Kontakt könnte Nicolas Cage helfen, Charlie realer werden zu lassen. So konnte Nicolas erkennen, was für ein leidenschaftlicher und kluger Mensch Kaufman ist und wie aufrichtig seine Beweggründe sind.

INTERVIEW: CRISTINA NORD