: Das Gesicht des anderen Amerika
Auch der Vietnamkrieg begann mit einer Lüge, sagte Dustin Hoffman unter dem tosenden Applaus des Publikums auf der Berlinale. Sein überraschender Auftritt war der Höhepunkt der Gala „Cinema for Peace“. Die taz dokumentiert die Rede
von DUSTIN HOFFMAN
Ich wurde gebeten heute Abend hierherzukommen, und wie viele von euch wusste ich nicht, was mich erwartet. (…)
Wegen der bedauerlichen Gleichzeitigkeit dieser Gala „Cinema for Peace“ und dem beabsichtigten Krieg gegen den Irak hat man mich nach meiner Meinung als Amerikaner gefragt. Ich will das gerne tun, in dem ich mit der Feststellung beginne, dass ich kein Antiamerikaner bin. Aber ich bin ein Gegner der Ansichten der gegenwärtigen amerikanischen Regierung.
Seit dem 11. September gab es eine traurige Manipulation durch die Medien, die in meinem Land weitgehend loyal sind, und durch die Regierung, die die Trauer, die mit diesem Tag verbunden ist, dafür missbrauchte, die Öffentlichkeit politisch zu täuschen. (…)
Ich habe die Sechzigerjahre erlebt, das heißt den letzten amerikanischen Krieg, der mir bewusst ist, also den Vietnamkrieg. Der Vietnamkrieg begann mit einer Lüge. Er begann mit einer scheinbar bevorstehenden Invasion im Golf von Tonking durch die Nordvietnamesen, wo eines unserer Kriegsschiffe stationiert war. Diese Invasion hat es nie gegeben, sie war eine Lüge, sie war der Baustein einer Propaganda, bloß um diesen schrecklichen Krieg beginnen zu können.
Diese Zeiten könnten sich wiederholen. Lassen Sie mich deshalb erneut Fragen an meine Regierung richten, Fragen eines Amerikaners, der kein Antiamerikaner ist, der nicht „anti“ Jazz ist, nicht „anti“ Toni Morrison oder John Updike oder „anti“ gegenüber den tausenden, die gegen atomare Bewaffnung demonstrieren oder in diesen Tagen gegen diesen Krieg auf die Straße gehen.
Ich stelle diese Fragen, weil sie noch immer nicht beantwortet wurden, obwohl ich wieder und wieder gefragt habe. Danach, ob es eine unmittelbare Bedrohung gibt, die einen Einmarsch rechtfertigt. Ob nicht von Nordkorea eine viel größere Bedrohung ausgeht, dessen Präsident gerade erst mit einem atomaren Erstschlag gedroht hatte. Noch immer hat unsere Regierung Lust, mit solchen Leuten zu verhandeln. Mit scheint, dass das eine weitaus größere Drohung ist als die durch den Irak, dessen Waffenarsenal wir in den nächsten zwei oder drei Jahren halbieren könnten. (…)
Ich frage meine Regierung, ob sie Saddam Hussein als Inbegriff des Bösen bezeichnet. Derzeit scheint es so. Aber was war 1988, als es gegen den Iran ging und wir selbst es waren, die Saddam und den Irak aufgebaut haben, um uns dabei zu unterstützen, gehen den Iran vorzugehen. Es war das gleiche Jahr, in dem Saddam beschloss, hunderttausend Kurden zu vergiften. Warum haben wir diesem Land und diesem Mann 500 Millionen Dollar gegeben, warum haben wir die Summe im nächsten Jahr sogar auf eine Milliarde verdoppelt? Ich frage, ob vor diesem Hintergrund Saddam nicht schon damals der Inbegriff des Bösen war.
Ich bitte die Regierung meines Landes, die Frage zu beantworten, ob wir in den Irak einmarschieren und dabei, wie ich gelesen habe, 30.000 Pfund Bomben in 43 Minuten abzuwerfen. (…) Ich frage: Was passiert danach, haben wir darauf eine Antwort? Bleiben wir dort über Jahre hinweg? Und was ist mit unserer Wirtschaft, die befindet sich nicht gerade in einem guten Zustand? Geben wir das Geld aus, um den Irak zu kolonisieren? Installieren wir dort jemand anders? Wir haben keinen guten Ruf, wenn es darum geht, jemand anders zu installieren. Ich erwähne nur Pinochet in Chile, der tausende und abertausende ermordet hat. Über die anderen wissen Sie auch Bescheid.
Ich bin heute ins Jüdische Museum gegangen. Da gab es einen Computer, auf dem stand: Drücken Sie den Knopf, wenn Sie denken, dass irgendetwas im Charakter der Deutschen den Holocaust ausgelöst hat. Ich habe den Knopf nicht gedrückt, weil ich diese Frage nicht gemocht habe. Ich habe nicht verstanden, was mit deutschem Charakter gemeint war. Ich finde das ironisch, weil mir persönlich eine ganze Reihe weiterer Völkermorde einfällt, die seitdem stattgefunden haben. Bosnien, zum Beispiel, oder Ruanda, mit 800.000 Toten unzweifelhaft ein Völkermord. (…) Haben wir diese verschiedenen Formen des Völkermords erlebt, nur um nun einen weiteren zu erleben?
Was können wir tun?
In meinem Land haben wir in den Sechzigerjahren versucht, einen gewählten Präsidenten zu entmachten. Das waren vor allem die Studenten, jene also, die am meisten zu verlieren haben, weil sie diejenigen sein können, die sterben. Ich selbst habe zwei Söhne im Alter von 18 und 21. Für sie ist es schwer zu glauben, dass sie vielleicht die Ersten sind, die losmarschieren müssen.
Ich interessiere mich sehr für die Macht. Für ihre Beschaffenheit. Ich bin gespannt auf die Paranoia dieser Macht. Nicht zuletzt, weil das Bedürfnis nach dieser Macht nichts anderes als ein Ersatz für die Seele ist.
Wir tun also, was wir können. Und wir sind heute Abend hier zusammengekommen. Ein Dichter, der Lieblingsdichter meiner Kindheit, weil er der einzige war, den ich verstanden habe, Carl Sandburg, hat einmal gesagt: „Auf dem Weg nach oben hat auch eine zarte Blume schon einen harten Stein gesprengt.“
Übersetzung: WERA