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Archiv-Artikel

Blick in die Schattenwelt

Unter Horrorfans genießt Hideo Nakatas Film „The Ring“ Kultstatus. Wie schwierig die Übertragung japanischer Horror-Mythologien auf andere Märkte ist, zeigt jetzt das US-Remake von Gore Verbinski

Innerhalb von sieben Tagen soll das Video dem Betrachter den Tod bringen

von ANDREAS BUSCHE

„Urban Legends“ mögen in Amerika inzwischen genauso wie Verschwörungstheorien zum allgemeinen Repertoire der Populärkultur gehören. Und auch das Genre der Mystery-Thriller der letzten Jahre hat nur altbekannte Schemata aus Science-Fiction und Mystizismus-Versatzstücken neu variiert. Dennoch war der frühe Kultstatus von Hideo Nakatas „The Ring“ unter US-amerikanischen Horrorfans vor allem einem sehr spezifisch-kulturellen Phänomen geschuldet.

Rein technisch (Ton, Bildästhetik etc.) lässt sich der Horror von Nakatas Film, der zwei Sequels und ein Prequel nach sich zog, noch auf filmische Mittel zurückführen, die sowohl in Amerika als auch in Japan, quer durch die Kulturkreise, verstanden werden. Kulturelle Übersetzungsschwierigkeiten stellten sich jedoch in Nakatos Ikonografie dieses Schreckens ein, in der Wahl seiner Symbole und symbolischen Orte, an die die Geschichte seine Figuren führt: fließendes Wasser, trocken gelegte Brunnen oder Leuchttürme sind Bilder, die im domestizierten Horror Hollywoods heute etwas exotisch anmuten.

Die meisten „Urban Legends“ beziehen ihren legendentauglichen Stoff aus dem Gegensatz „Stadt–Land“, und ganz ähnlich funktionierte auch „The Ring“ mit seinen Videotapes und einsamen Waldhütten. Der amerikanische Mystery-Thriller dagegen tendiert zu einer recht fantasielosen Eindeutigkeit (gerade durch die dem übersinnlichen Phänomen übergeordneten zwischenmenschlichen Konflikte): Er will stets auf eine natürliche, wissenschaftliche oder emotionale Erkenntnis hinaus, um eine innere Ordnung zumindest scheinbar wieder herzustellen. Anhand solch psychologischer Modelle lassen sich japanische Mystery-Filme aber nur selten hinterfragen. Wie schwierig die Übertragung ostasiatischer (für Korea und Thailand gilt dies genauso wie für Japan) Horror-Mythologien auf den amerikanischen Markt letztlich ist, zeigt sich jetzt anhand des Hollywood-Remakes von Gore Verbinski. Seinem „The Ring“ kann man die fantastischen Prämissen, die in Nakatas Film noch funktioniert haben, nicht mehr wirklich abnehmen, schlimmer: der Film grenzt streckenweise ans Lächerliche, obwohl er dem Original technisch weit überlegen ist, und sich zum Teil sehr genau an die Vorlage hält.

Zunächst scheint es, als beginne „The Ring“ mit einem Zitat, einer kleinen Hommage an Wes Cravens Eröffnungssequenz aus „Scream“. Aber vergeblich wartet man danach auf die ironische Wendung. Auch Verbinskis Remake behauptet bis zum Finale konsequent und bruchlos seine Geschichte, was zwar im Sinne des Originals ist, aber immer auch das Problem des amerikanischen Mystery-Thrillers à la Shyamalan oder „Mothman Prophecies“ gewesen ist. Diese Hermetik seines Milieus und seiner Mythologie wird jedoch, eben weil ein sehr japanisches Topos nach Amerika verpflanzt wurde, zur Stärke von „The Ring“.

Verbinski hat seine Geschichte an die Nordwestküste Amerikas verlegt, nach Seattle und in die mythischen Wälder von Washington State. Hier kommt die Journalistin Rachel Keller (Naomi Watts in ihrer ersten größeren Rolle seit „Mulholland Drive) einem mysteriösen Videotape auf die Spur, das der Legende nach jedem Betrachter innerhalb von sieben Tagen den Tod bringt. Der Tod ihrer Nichte führt sie in eine schlecht ausgeleuchtete Schattenwelt, die Verbinski mit blendend-schönen Albtraumbildern ausmalt. Der eindrucksvolle Selbstmord eines weißen Hengstes auf einer Fähre (der im Original nicht vorkommt) lässt sich zwar leicht als prätentiöser Pseudokunstquatsch abtun, ihre Wirkung beim schleichenden Drift in den Wahnsinn verfehlt die Szene allerdings nicht. Das gilt auch für das Video selbst, das Rachels Exmann nach Sichtung mit „very film school“ kommentiert; eine Ansammlung von in gestochen scharfen s/w-Kontrasten fotografierten Szenen zwischen Nine Inch Nails und Buñuel: die titelgebende brennende Corona, harte Flash Cuts, Tierverstümmelungen, Leitern, die frei im Raum stehen, eine Fliege, die über den Bildschirm krabbelt und später in die dritte Dimension wächst etc. Man könnte sich vielleicht wundern, wie solch ambitionierte künstlerische Visionen der Imagination eines toten (zehnjährigen) Mädchens entspringen konnten – kann es aber auch bleiben lassen. Es führt zu nichts. Die Schockwirkungen von „The Ring“ sind im Gegensatz zu dem Original rein ästhetischer Natur, und dazu ist Verbinski jedes Mittel recht.

Dass auch die Studiobosse Hollywoods nicht allzu viel Vertrauen in das amerikanische Kinopublikum haben, zeigte sich schon in der Vermarktungspolitik von „The Ring“. Nakatos Film wurde von Anfang an vom amerikanischen Markt ferngehalten, um dem Weg für die US-Version freizumachen – neuerdings eine gängige Praxis mit japanischen Horrorfilmen. Auch Kiyoshi Kurosawas Kultfilm „Pulse“ ist früh für ein Remake optioniert worden und verschwand danach schnell in den Archiven des Studios. Nachdem nun auch das Remake-Projekt wieder auf Eis liegt, sind wohl beide Filme für den amerikanischen Markt vorerst gestorben. Dagegen hat „The Ring“ die Transformation auf amerikanische Sehgewohnheiten überraschenderweise ohne Reibungsverlust überstanden. Das Sequel zum Remake ist bereits in Planung.

„The Ring“, Regie: Gore Verbinski. Mit: Naomi Watts u. a. USA 2002, 115 Min.