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Archiv-Artikel

Zögerndes Abtasten im Schatten neuer Gewalt

Israel setzt Offensive gegen Islamisten fort. Parallel gibt es Bemühungen um Wiederaufnahme von Verhandlungen

GAZA taz ■ Ungeachtet der diplomatischen Vorstöße zwischen Israel und den Palästinensern setzte die israelische Armee gestern die Offensive gegen die islamischen Widerstandsgruppen fort und tötete einen Hamas-Aktivisten. Am Vortag waren die Beerdigungen von fünf Hamas- und einem Fatach-Kämpfer kaum vorbei, als die Militärs den Kommandanten des militärischen Hamas-Flügels im Gaza-Streifen Rijad Abu Zeit exekutierten. Israel reagierte mit der Offensive auf den Tod von vier Soldaten am Wochenende. Die Hamas kündigte Vergeltung an.

Seit Wochen agiert die israelische Regierung zum ersten Mal deutlich gegen den US-amerikanischen Appell zur Zurückhaltung. Es scheint, als verfolge Premierminister Ariel Scharon das von dem ermordeten Premierminister Jitzhak Rabin erklärte Prinzip, den Terror zu bekämpfen, als gäbe es keine Verhandlungen, und Verhandlungen zu führen, als gäbe es keinen Terror. Erst am Wochenende traf Scharon mit dem palästinensischen Finanzminister Salam Fayyad zusammen. Palästinensischen Informationen zufolge ging es bei dem Gespräch zunächst nur um ein Kennenlernen.

Im Vorfeld von Gesprächen zwischen Vertretern der Autonomiebehörde und Delegierten des so genannten Quartetts, bestehend aus den USA, der UNO, der EU und Russland, diese Woche in London, hatte Palästinenserpräsident Jassir Arafat seine Bereitschaft zur Ernennung eines palästinensischen Premiers bekräftigt. Damit kommt er einer zentralen Forderung vor allem aus dem Weißen Haus nach. In den israelischen Medien kursieren bereits Namen potenzieller Kandidaten. Neben Fayyad, der vor allem in Washington favorisiert wird, wird Arafats Vize Abu Masen gehandelt sowie der Parlamentspräsident Abu Ala. Beide waren für das Zustandekommen der Osloer Vereinbarungen 1993 mitverantwortlich.

„Es ist viel zu früh, um über Personen zu reden“, glaubt hingegen der Fatach-Abgeordnete Marwan Kanafani. „Es gibt hunderte Kandidaten mit besseren Chancen, als die, die öffentlich diskutiert werden.“ Wichtig sei nicht, wer das Amt ausfülle, sondern von wem der Premierminister ernannt werde und welche Kompetenzen er habe. Kanafani hält den Druck aus dem Ausland für wenig hilfreich. „Unsere Reformforderungen gehen viel weiter, als die der USA.“ Letztlich sei die Idee der Ernennung eines Premierministers nicht aus Washington gekommen, sondern von den Palästinensern selbst.

In die Gespräche in London setzt Kanafani wenig Hoffnung, da es nicht um konkrete Verhandlungen ginge. „Alles, was wir bislang erreicht haben, sind die Osloer Einigungen und die in diesem Zusammenhang getroffenen Vereinbarungen.“ Der derzeit zur Debatte stehende „Wegeplan“ zu einer Rückführung beider Seiten an den Verhandlungstisch sei deshalb problematisch, weil „ihn die, die ihn erdachten, wenig enthusiastisch verfolgen“.

Der Abgeordnete bedauert die „Exklusivität der USA“ als Vermittler im Friedensprozess. Auch mit Blick auf einen Waffenstillstand werde ein Umdenken nicht von außen diktiert werden können, meint Kanafani, der seit Monaten mit den zwölf palästinensischen Fraktionen in Verhandlungen steht. Dennoch scheint das ägyptische Zutun zumindest hilfreich zu sein. Der Chef des ägyptischen Nachrichtendienstes Omar Suleiman drängt auf eine Wiederaufnahme der Kairoer Verhandlungen und eine Waffenstillstandserklärung.

Kanafani glaubt indes, dass es eine öffentliche Erklärung „niemals geben wird“, weil das für die islamistischen Bewegungen dem Eingeständnis gleichkäme, den falschen Weg verfolgt zu haben. Dennoch sei eine „ungeschriebene Einigung“ bereits erreicht, was die „allgemeine Beruhigung“ beweise. Dass am Wochenende vier Soldaten getötet wurden, widerlege das nicht. „Niemand kann verlangen, dass wir die Besatzer willkommen heißen.“ SUSANNE KNAUL