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Archiv-Artikel

Nach den eigenen Regeln

Hürdensprinter Falk Balzer wurde für zwei Jahre wegen Dopings gesperrt. Am Wochenende, bei den deutschen Hallen-Meisterschaften, startet er erstmals wieder

CHEMNITZ taz ■ Nasskaltes Grau kriecht über die Stadt. Im Chemnitzer Dorint-Hotel, wo das Treffen arrangiert ist, herrscht bedrückende Leere. Falk Balzer erscheint in Jeans, Sweatshirt mit einer Bulldogge darauf und der Aufschrift „Johnny Blaze“. Dazu trägt er kurz geschorene Haare. Am Wochenende wird er in Leipzig wieder laufen, 60 Meter Hürden bei den deutschen Hallenmeisterschaften. Balzers zweijährige Dopingsperre endet einen Tag vorher, heute. „Das wird der erste Tag meines Wirkens sein“, sagt Balzer, 29, Hürdensprinter mit Vorgeschichte.

„Der ist ein bisschen dusslig, der rennt halt ab und zu schnell, der brabbelt manchmal los“, das waren die Stereotype, mit denen er in Verbindung gebracht wurde und an deren Entstehen Balzer aktiv beteiligt war. Mit diesen Kategorien möchte Balzer aufräumen. „Wenn ich mich schon entschieden habe wiederzukommen, dann nach meinen Spielregeln“, sagt er. 2001 legte Balzer die wichtigste Spielregel fest: Er beschloss, dass „nicht mehr Hinz und Kunz an mich herankommt“. Er wollte das öffentliche Bild, das ihm wie eine schlechte Karikatur vorkam, löschen. Also Rückzug und innere Einkehr. Konzentration auf das Wesentliche – und neue Telefonnummern. Die Abschottung sollte ihm Zeit und Ruhe geben, über sich nachzudenken und Motivation zu schöpfen. Weil er möglichst keinen Fehler mehr machen will, hat er sich eine andere Sicht auf den Sport zugelegt. Sport soll nur noch Spaß bringen, ohne Druck ablaufen. Die auferlegte Lässigkeit geht so weit, dass er scherzhaft sagt: „Vielleicht steige ich ja in Leipzig im Zwischenlauf aus, weil ich keinen Bock mehr habe.“

Der Name Balzer hat für ihn die Bedeutung eines hochwertigen Markenzeichens. „Ich vertrete einen Namen, der für Erfolg steht. Wenn dieser Name mit Dreck beschmissen wird, kränkt mich das in meiner Ehre“, sagt er. Die Mutter, Karin Balzer, gewann 1964 als erste Leichtathletin der DDR Olympisches Gold. Sie stellte über 80 und 100 Meter Hürden sieben Weltrekorde auf. Vater Karl-Heinz war ein guter Stabhochspringer. Der Sohn wird von den Eltern trainiert. Beide dienten der Nomenklatura keinesfalls willfährig: Es gab einen Fluchtversuch. Und weil sich Karin Balzer weigerte, Dopingmittel an minderjährige Sportler zu verabreichen, wurde sie 1974 von Karl-Marx-Stadt nach Dresden zwangsversetzt.

Mit Argwohn begleitete sie die Nachwendekarriere manch eines Trainers, der damals weniger Skrupel hatte. 2000 wurde ihr Honorarvertrag vom Deutschen Leichtathletik-Verband nicht verlängert, weil sie gegen „Prinzipien der Loyalität und Solidarität“ verstoßen haben soll. Dann kamen die Querelen um ihren Sohn, der scheinbar stets das Falsche im falschen Moment tat.

Bis heute hat Karin Balzer den Schock über diese ominöse Sache, wie ihr Sohn den Dopingfall nennt, nicht verwunden. Sie weigert sich, darüber zu reden. Ihr Sohn spricht stellvertretend für sie: „Früher gab es die Möglichkeit, widerspenstige Leute mundtot zu machen, heute tut man es über Intrigen und stille Post, wo von Mal zu Mal etwas hinzugedichtet wird.“

Dass er zum Dödel gestempelt wurde, der im Aggressionsrausch seine Mitläufer anpöbelt, damit ließ sich vielleicht noch leben; aber dass er ein Doper sein sollte, damit nicht. Im Januar 2001 maß das Kontroll-Labor in Kreischa die Menge von 10,2 Nanogramm Norandrostendion in Balzers Urin, ein Abbauprodukt des anabolen Steroids Nandrolon. Der Grenzwert liegt bei zwei Nanogramm. Das bedeutete zwei Jahre Sperre. Balzer kämpfte gegen den Urteilsspruch. Er wähnt sich bis heute zu Unrecht angeklagt. Es kamen ein paar Ungereimtheiten ans Licht. Balzer versuchte alles, um seine Unschuld zu beweisen. Selbst einen DNA-Test strengte er an. Ergebnis: Der Urin könne ihm zwanglos zugeordnet werden. „Man ist damals nicht gegen Windmühlen gerannt“, sagt Balzer, „sondern gegen richtig fette Betonmauern – und das tagtäglich.“

Aber wie kam der erhöhte Wert zustande? Balzer, der hartnäckig von „Nandronol“ spricht, glaubt an eine körpereigene Überproduktion. Er hatte sich seinerzeit einen Knochen, das Radiusköpfchen am Ellenbogen, gebrochen. Die Heilung verzögerte sich. Just vor der Kontrolle habe sich endlich Gewebe und Knorpel um den Bruch herum aufgebaut. Das sei mit Hormonbildung verbunden, dies hätten ihm Ärzte bestätigt. Und überhaupt: „Zehn Nanogramm, die gehen durch den Körper durch, da hupt’s nicht mal“, sagt er.

Er kann es bis heute nicht fassen. Und deswegen hat Balzer den Kampf gegen die Windmühlen wieder aufgenommen – mit einer Klage gegen den DLV. Im September hat sein Anwalt Michael Lehner die Unterlagen beim Landgericht Leipzig eingereicht. Über die Rechtmäßigkeit der Sperre soll verhandelt werden. Ansatzpunkt: Der DLV habe beim Urteilsspruch einen Formfehler begangen. Mit der Klage reagiert Balzer auf die Ablehnung seines Gnadengesuchs.

Davor tingelte Balzer durch Schulen, hielt Vorträge gegen Doping. Er wollte damit ein vorzeitiges Ende seiner Sperre bewirken. Doch der DLV befand: Mit einer Tingeltour allein sei’s nicht getan. Wut und Entsetzen im Hause Balzer, dann setzte sich allmählich die Erkenntnis durch, dass mit überkochenden Emotionen keinem gedient sei und Gefühlsstürme nur dem Comeback schaden.

Es ist ein Comeback, das Balzer gemeinsam mit Freundin Anja Rücker angeht, der WM-Zweiten von 1999 über 400 Meter. Auch sie kehrt nach vielen Verletzungen auf die Bahn zurück. Beide wollen es packen. Balzer sagt: „Das ist eine wunderbare Chance.“ MARKUS VÖLKER