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Archiv-Artikel

Jukebox

Zu Neujahr: Bilder eines Dirigenten

Das Neujahrskonzert muss sein, und wer an Neujahrskonzert denkt, denkt an Herbert von Karajan, und dann findet man im Plattenladen die nebenstehende Sammlung von CDs und wundert sich vielleicht. Er ist’s, ganz ohne Zweifel, in jungen Jahren, doch bereits mit halb geschlossenen Augen entrückt. Zur Nazizeit dirigiert Karajan Orchester im Deutschen Reich, im befreundeten und besetzten Ausland, und schon strebte er deutlich zu Höherem hin, als hätte er gewusst, dass er in der Nachkriegszeit der Leib- und Magendirigent des Wiederaufbaus werden sollte.So ist er ins kollektive Bewusstsein gedrungen, in Form von Bildern auf Platten der Deutschen Grammophon. Das Aufstrebende der frühen Jahre wich dem Bild des genialischen Schlachtenlenkers, der über dem Getümmel des Orchester herrscht. Karajan dirigierte alle Beethoven-Sinfonien, und er wuchs ins Titanische. Er erreichte fast dieselbe Übergröße wie die Komponisten, die er dirigierte.Der Frack des Dirigenten, eigentlich Abzeichen des dienenden Standes, wurde zur Paradeuniform. Karajan war der Gott der klassischen Musik geworden. Auffallenderweise entstanden auf dem Höhepunkt seines Ruhms viele Platten, auf denen er nicht mehr zu sehen war: Du sollst dir kein Bildnis machen. Stattdessen sah man verschneite Winterlandschaften.Erst die späten und posthumen Plattencover zeigten wieder sein Gesicht, jetzt oft leicht vergrübelt oder als Schattenriss. Dabei wusste man doch längst, dass Karajan nicht nur Musiker war, sondern auch erfolgreicher Geschäftsmann und Mitglied des Jetsets (mit Pilotenschein). Inzwischen gibt es in den Geschäften viel mehr Beethoven-Aufnahmen anderer Dirigenten. Aber Karajan bleibt doch der, an dem sich die deutsche Nachkriegsgeschichte am besten ablesen lässt. DANIEL WIESE