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Archiv-Artikel

Mehr Stadt, weniger Fläche

Sich auf Bremens Stärken besinnen und in sie investieren – der Arbeitskreis Stadtentwicklung und Sanierungspolitik hat ein Memorandum verfasst. Die taz veröffentlicht Auszüge

Weiter so? Schon jetzt ist sicher: im Jahre 2005 wird das Land Bremen mehr Schulden und ein größeres strukturelles Defizit haben als zu Beginn der Sanierung vor zehn Jahren. Sparen und investieren war die Kurzformel, mit der das Programm der letzten Jahre überschrieben wurde. Gewiss, die Bremer Wirtschaft steht heute besser da als vor zehn Jahren. Die Zahl der Arbeitsplätze wuchs in den letzten Jahren um über 4.000 und erreicht damit fast wieder den Stand von 1996 vor der Vulkan-Pleite. In Bremen-Stadt ist auch die Zahl der Einwohner nach langen Jahren der Schrumpfung in den letzten beiden Jahren wieder leicht gestiegen. Sie liegt damit aber allein hier um 10.000 Einwohner niedriger als 1990 und wird in Zukunft nach allen seriösen Prognosen weiter sinken.

Die flaue Konjunktur und die Steuerreform haben große Löcher in die Staatsfinanzen gerissen. Das trifft das geschwächte Bremen doppelt und kann durch nichts kompensiert werden. Ein weiteres Mal wird auf die Tagesordnung gesetzt werden, ob Bremen als Bundesland Bestand haben soll oder nicht.

Stadtstaat – Hafenstadt

Um mit Hamburg und Rotterdam mitzuhalten, will Bremen den Container Terminal IV für über eine Milliarden Euro (inklusive Zinslasten) bauen und in Wilhelmshaven zusammen mit Niedersachsen für absehbar mindestens die gleiche Summe einen Tiefwasserhafen begründen. Die schiere Größenordnung dieser Investitionen übersteigt alles, was Bremen zu leisten im Stande ist. Bremen hat es versäumt, den Bund für eine Beteiligung zu gewinnen. Für Bremerhaven ist dieses Projekt die große Hoffnung. Nüchtern betrachtet ist es aber eine Verzweiflungstat. Der Kampf um die nationale Hafenkompetenz endet in einer gewaltigen Überforderung der ohnehin erschöpften Bremer Leistungsfähigkeit. Nur wenn es gelingt, die Aufgaben und Mittel unter den Bundesländern neu und fair zu verteilen, hat Bremen eine Chance, seine Hafenkompetenz in die Arbeitsteilung der Bundesländer einzubringen. Es ist nicht erkennbar wie der Senat diese Aufgabe zu lösen versucht.

Dieses Beispiel steht für viele. Es wirft ein Licht auf das Dilemma der Bremer Politik. Der Stadtstaat ist für das, was er leisten müsste, zu klein und zu schlecht finanziert. Die Kooperation mit den Nachbarstädten und -gemeinden wird durch das Steuerrecht systematisch entwertet. Und die alten Bremer Eliten können sich Kooperation nur aus einer der Position der Stärke vorstellen. Um sich zu behaupten, überfordert der Stadtstaat seine Kräfte.

Sich als Region begreifen

Bremen ist der Kern einer Region, in der 1,2 Millionen Menschen wohnen und arbeiten. Die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen scheren sich wenig um Landes- und Gemeindegrenzen. Bremen wäre gut beraten, in einem systematischen und beharrlichen Prozess auf immer mehr Feldern mit den Umlandgemeinden gemeinsame Projekte zu entwickeln. Warum sollen Bremen und die Umlandgemeinden nicht innerhalb eines Jahrzehnts eine gemeinsame Wirtschaftsförderung und Flächenplanung entwickeln, eine Arbeitsteilung auf dem Feld der Kultur- und Sozialeinrichtungen, der Müllentsorgung und der Verkehrsplanung, der Hochschulen und Freizeitangebote? Bremen wird einen Teil seiner Unabhängigkeit aufgeben müssen, wenn seine Selbstständigkeit der Stadt und der Region nützen soll.

Gespür für Maßstäbe

Im Kampf um Kapital, Arbeitsplätze und Einwohner hat Bremen sich Ziele gesteckt, die mit der wirklichen Entwicklung der Stadt nicht viel zu tun haben. Jetzt, nach acht Jahren Sanierungspolitik beginnt ein vorsichtiges Umdenken. Niemand spricht mehr ernsthaft von den 30.000 zusätzlichen Einwohnern und 40.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen, die in den letzten zwei Legislaturperioden gewonnen werden sollten. Aber die Infrastrukturplanung und die Bereitstellung von Flächen orientiert sich immer noch an diesen Zahlen. Es kommt darauf an, wieder ein Gespür für den Maßstab der Entwicklung der Stadt auszubilden, sonst zerstören wir die gewachsene Stadt und ihre Qualitäten. So ist es ökologisch verantwortungslos und ökonomisch unvernünftig, das Hollerland zum Gewerbegebiet zu machen. Gänzlich abwegig wird der Plan, wenn gleichzeitig das Wachstum in der Innenstadt zum Erliegen kommt und die Leerstände um sich greifen. Bremen hat viel Platz für Wachstum im Inneren. Diese Flächen zu erschließen, ist die wichtigste Aufgabe der nächsten Jahre.

Unsere Stadt mit ihren lebendigen Stadtteilen, den Bremer Häusern, dem gediegenen Zentrum, den Grünzügen und dem schnell erreichbaren Stadtrand ist der Lebens- und Arbeitsraum für 540.000 Einwohner. Es gibt kaum eine andere Halbmillionen-Stadt, in der die Lebensverhältnisse so gut gefügt sind wie in Bremen. Daran sollten wir anknüpfen.

Die Bevölkerung vieler Städte altert und schrumpft. Es ist absehbar, dass es schon in wenigen Jahren schwierig wird, Käufer und Mieter für die große Zahl der Einfamilienhäuser am Stadtrand zu finden. Die soziale Infrastruktur und die Schulen werden sich anpassen müssen. Wäre es da nicht vorrausschauend, wenn Bremen sich auf die Entwicklung von Stadtquartieren konzentrieren würde, statt dem Umland mit immer neuen Einfamilienhaussiedlungen nachzueifern? Bremen hat in den letzten Jahren fast 8.000 Wohneinheiten in Baulücken geschaffen. Das ist der richtige Weg. Für diese Häuser sind die Straßen vorhanden, die Spielplätze fertig, und es gibt noch einen Bäcker um die Ecke. Noch immer subventioniert der Bund den Bau neuer Siedlungen außerhalb der gewachsenen Stadt. Dieses System zwingt die Kommunen zu immer neuen Investitionen in die Infrastruktur und ist eine wesentliche Ursache für die wachsende Verschuldung. Wenigstens Bremen sollte sein Programm „Bremer bauen in Bremen“ auf das Bauen im Bestand und entlang der schon vorhandenen Infrastruktur konzentrieren.

Wirtschaft will Vitalität

Strukturwandel braucht mehr als neue Gewerbeflächen und Autobahnanschlüsse – zukunftsorientierte Unternehmen fordern mehr als das. Sie interessieren sich für gute Adressen, Competenz-Cluster und die Nähe von Einzelhandel, Gastronomie und Kultur in vitalen Stadtteilen. Wenn die Stadt den Schwerpunkt auf die Entwicklung der zahlreichen Brachen im Inneren legen würde, wäre dies nicht nur gut für die empfindliche Flora und Fauna im Feuchtwiesengürtel am Rande, sondern auch gut für die Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Basis der Stadt. In den Alten Hafengebieten sind in den letzten Jahren große Chancen vertan worden. Die Großmarktansiedlung und das Zuschütten des Überseehafens haben Entwicklungspotenziale blockiert, die Bremen dringend braucht. Aber immer noch stehen große und wertvolle Flächen zur Verfügung. Hier könnte ein unwiderstehliches Angebot für eine Fülle von Unternehmen und neuen Bürgern entstehen.

Die Innenstadt ist das durch nichts zu ersetzende Zentrum von Stadt und Region. In Bremens City arbeiten 50.000 Menschen. Nirgendwo sonst in der Stadt sind so viele Arbeitsplätze und soviel Kapital auf so kleinem Raum konzentriert. Diese Mitte der Stadt ist hervorragend verkehrlich erschlossen. Diese Qualitäten werden systematisch entwertet durch Projekte wie den Space-Park und die Konzentration des Büroflächenwachstums am Stadtrand. Gelingt dagegen die Entwicklung der Überseestadt im Westen und die Ansiedlung von Radio Bremen im Faulenquartier, gelingt das Flächenrecycling am Güterbahnhof, der Umbau am Neustadtsbahnhof und im Hohentorshafen, die Stadtreparatur am Rembertikreisel und die Bebauung des Stadtwerders an der Umgedrehten Kommode, braucht einem um die Zukunft der Stadtmitte nicht Bange zu sein. Bremen könnte mit ein bisschen mehr Mut zu unkonventioneller und kühner Architektur diesen neuen Innenstadt-Quartieren ein unverwechselbares Gepräge geben. Aber dies kann nur gelingen, wenn Investitionen auf diesen Teil der Stadt konzentriert werden.

Alte Quartiere fördern

Gemischte Stadtteile sind zukunftsfähig. Die älteren Stadtteile wurden von ihren Bürgerinnen und Bürgern über Generationen geprägt. Aber auch hier verändert sich viel. Das Handwerk und kleine Gewerbe ziehen sich zurück und werden durch Dienstleister abgelöst. Der Einzelhandel kann die alten Ladenstraßen oft nicht mehr zusammenhalten. Leerstände häufen sich. Zu stark ist der Druck der großen Verbrauchermärkte. Dennoch, die Erfahrung zeigt: Stadtteile, denen es gelingt, Wohnen und Arbeiten zu mischen, haben gute Voraussetzungen, auch schwierige Zeiten zu überstehen. Wer in der Nachbarschaft Arbeit findet, kann Beruf und Kinder besser miteinander verbinden. Stark sind Stadtteile, die es schaffen, unterschiedliche soziale und Bildungsschichten zusammenzuhalten und in denen die Bürgerinnen und Bürger aus den Zuwandererfamilien eine Chance auf Arbeit und Ausbildung und ein selbstständiges Auskommen haben. Alle Prognosen gehen davon aus, dass die Zahl der Menschen, die mit ihren Jobs nur wenig verdienen, in der Zukunft stark zunehmen wird. In den reinen Wohngebieten am Stadtrand ist es für diese Menschen schwer, sich durchzuschlagen. In den alten Quartieren sind die Voraussetzungen besser. Kontakte lassen sich leichter knüpfen, das Jobangebot ist vielfältiger. Schon jetzt ist über die Hälfte der innovativen Technologie- und Dienstleistungsneugründungen in den alten Quartieren zu finden. Die älteren Quartiere der Stadt sind die eigentlichen Gründerzentren der Dienstleistungsgesellschaft. Die klassischen Fördersysteme der Wirtschaftspolitik sind aber in der Regel auf Gewerbe- und Büro-Parks zugeschnitten. Diese Politik ist kurzsichtig. Ein besonders gravierender Punkt für die Stadtteile ist der Strukturwandel im Einzelhandel. Die Explosion der Einzelhandelsflächen in Bremen und in der Region hat verheerende Auswirkungen auf die gewachsenen Stadtteilzentren.

Wenn Bremen tatsächlich im Jahre 2020 30.000 Bewohner weniger haben sollte, werden sich dort die größten Veränderungen abspielen, wo heute besonders viele ältere Bürgerinnen und Bürger wohnen. Aus Stadtteilen, in denen sich die Leerstände konzentrieren, ziehen sich die Bürger, die über die Mittel verfügen, zurück. Einige Geschosswohnungsbausiedlungen wie Osterholz-Tenever, Grohner Düne und Leherheide sind in eine offene Krise geraten. Der Abriss ganzer Hauskomplexe ist der einzige Ausweg aus Leerstand und Verfall. Der Umbau ganzer Stadtviertel steht auf der Tagesordnung.

Stadt der kurzen Wege

Den größten Beitrag, den Bürger und Politik zur Vermeidung von Verkehr leisten können, ist die Organisation einer Stadt der kurzen Wege. Soviel Nachbarschaft von Wohnen und Arbeiten wie möglich, mehr Stadt auf weniger Fläche, das ist die Richtung. Gut 140.000 Bürger pendeln jeden Tag zwischen Bremen und dem Umland. Deshalb ist auf allen wichtigen Einfallsachsen die Entwicklung eines wettbewerbsfähigen komfortablen Regionalbahnsystems in enger Verzahnung mit dem Angebot der Bremer Straßenbahn überfällig.

Knapp ein Viertel aller Fahrten werden in Bremen mit dem Rad erledigt. Umso ärgerlicher ist die Nebenrolle, die die offizielle Verkehrspolitik für das Rad vorsieht. Radfahrer und Fußgänger brauchen mehr Platz im Straßenraum.

Gegen Stadtautobahnen

Angesichts einer real schrumpfenden Stadt sind Straßenbauvorhaben wie eine dritte Lesumquerung durch das Werderland und eine Entlastungsstraße durch das Hollerland auch wegen ihres immensen Landschaftsverbrauchs nicht zu rechtfertigen. Mancher Straßenbau ist jedoch wohl unvermeidlich geworden. Die A281 wird den Gewerbepark West auf dem Gelände der Stahlwerke und das Güterverkehrszentrum auf der Südseite der Weser mit der A1 und der A27 verbinden. Die Neustadt, Walle und das Rembertiviertel haben lange Zeit einen hohen Preis für die Bewältigung des Durchgangsverkehrs gezahlt. Jetzt ist die Gelegenheit da, die Stadtteile zu reparieren und Verkehre gezielt auf den Autobahnring zu verlagern. Kreuzungsfreie Stadtautobahnen und LKW-Routen quer durch die Wohnviertel der Stadt haben mit moderner Verkehrsplanung nichts zu tun. Ihr Ausbau muss sofort beendet werden. Überdimensionierte Straßen, wie die Hochstraße am Breitenweg sollten zurückgebaut werden. In der inneren Stadt sollten Straßen der Erschließung von Adressen dienen und nicht dem Durchschleusen von überörtlich orientiertem Verkehr.

Politik neu justieren

Bremen legt zur Zeit mit überdimensionierten und sehr teuren Gewerbe-, Infrastruktur- und Siedlungsprojekten die Grundlage für einen neuen dramatischen Verschuldungszyklus. Darüber hinaus beschädigen einige dieser Projekte die gewachsene und entwicklungsfähige Stadt- und Wirtschaftsstruktur. Es ist daher nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus wirtschaftlichen und fiskalischen Gründen richtig, diese Politik neu zu justieren. Aber, und darüber sollte sich niemand Illusionen machen, eine solche Korrektur kann den Zwang zu einer harten Sparpolitik nicht außer Kraft setzen. Unvermeidlich wird sich der Staat aus weiteren Bereichen zurückziehen müssen. Es liegt damit in erster Linie auch an den Bürgerinnen und Bürgern, ob es gelingt, unsere Stadt zusammenzuhalten und den Alltag lebenswert zu gestalten.