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Archiv-Artikel

Die Leiche der Herzen

Haben Agenten Diana in den Tod gejagt? Mit einer als Hund verkleideten Strahlenkanone? Weil sie zum Islam konvertieren wollte? Heute beginnt in London die Untersuchung des Autounfalls, bei dem die Ex-Frau des britischen Thronfolgers, ihr Lebensabschnittsgefährte und der Fahrer starben – und Großbritannien suhlt sich in Verschwörungstheorien

Der „Observer“ siedelte Dianas IQ nur knapp über dem eines Blumenkohls an – vor ihrem Tod

VON RALF SOTSCHECK

Es war das wichtigste historische Ereignis der vergangenen hundert Jahre. Für die Briten jedenfalls. Bei einer Umfrage bewerteten 22 Prozent der Befragten den Tod der Prinzengemahlin Diana im Jahr 1997 als bedeutender für Großbritannien als Ereignisse wie den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs oder das Wahlrecht für Frauen, die auf den Plätzen zwei und drei landeten. Aber war es überhaupt ein Unfall? Um Dianas Tod ranken sich ebenso viele Mythen wie um das Ableben Elvis Presleys, John F. Kennedys oder Hitlers, die Verschwörungstheorien haben Hochkonjunktur.

Kurz vor Weihnachten haben sie weiteren Auftrieb bekommen, als ein hochrangiger französischer Polizeibeamter behauptete, Diana sei schwanger gewesen. Das stehe in dem 6.000 Seiten dicken französischen Untersuchungsbericht, der bisher geheim gehalten worden ist.

Die Königshausexpertin Charlotte Cox glaubt, der britische Geheimdienst MI-6 und die CIA seien vier Wochen vor dem Unfall in den Mercedes eingebrochen und hätten eine Fernsteuerung eingebaut, mit der sie den Wagen nicht nur gegen den Pfeiler gelenkt, sondern zuvor auch die Sicherheitsgurte gelöst hätten.

Der selbst ernannte „investigative Journalist“ Jon King stimmt ihr zu, dass die Geheimdienste dahinter steckten. Dianas Kampagne gegen Landminen sei ihnen auf die Nerven gegangen. Die Paparazzi, die Diana an jenem Tag in Paris hinterherjagten, seien in Wirklichkeit Agenten gewesen. Simon Regan, noch ein Experte, weiß es genauer. Ein zum Rennwagen umgebauter weißer Fiat Uno war an der Sache beteiligt. Ein Augenzeuge habe auf dem Rücksitz einen großen Hund gesehen, der aber gar keiner war, sondern eine getarnte Strahlenkanone.

Es ist verblüffend, auf welch fruchtbaren Boden dieser Unfug bei den Engländern fällt. Nach Dianas Tod glaubten fast alle an einen Unfall, bereits ein Jahr später war sich ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung nicht mehr so sicher. Gleichzeitig stieg Dianas Beinahe-Schwiegervater Mohammed al-Fayed, Eigentümer des Kaufhauses Harrods, in der Gunst des Volkes.

Er ist der Vater aller Verschwörungstheorien: Er glaubt, dass die britische Regierung bei dem Unfall die Finger im Spiel hatte, um zu verhindern, dass Diana nach der Hochzeit mit Dodi zum Islam übertreten würde. Dann wäre auch ihr Sohn William, der künftige König, Muslim geworden, behauptet al-Fayed. Aber William, der seiner Mutter ähnlicher sieht als seinem Vater, soll doch die von Skandalen und Affären geschüttelte Monarchie retten. Die Yellow Press taufte ihn „Prinz der Herzen“. Eine „Diana mit Eiern“, kommentierte der Observer.

Fast die Hälfte aller Briten würde Williams Vater Charles bei der Thronfolge am liebsten überspringen. Mohammed al-Fayed ist schuld daran, dass die britische Untersuchung, die nach jedem Tod eines britischen Staatsbürgers im Ausland fällig ist, erst jetzt beginnen kann. Leichenbeschauer Michael Burgess, der die Untersuchung leitet, musste warten, bis die französische juristische Prozedur abgeschlossen war.

Jene ist durch zahlreiche Klagen al-Fayeds verzögert worden. Er legte gegen das Urteil des Pariser Gerichts, das auf Tod durch Unfall entschieden hatte, Einspruch ein und strengte eine Privatklage gegen mehrere Fotografen an, die Diana und Dodi in jener Nacht verfolgt hatten.

Burgess, der königliche Leichenbeschauer, war bei der Autopsie der Prinzessin dabei, nachdem die tote Diana noch am Tag ihres Todes nach London geflogen worden war. Damals war er stellvertretender Leichenbeschauer. Nun muss er sich durch die 6.000 Seiten arbeiten, die ihm aus Frankreich vorliegen.

So wird er heute seine Untersuchung zwar eröffnen, aber sogleich um sechs Monate vertagen, bis er sich durch den Aktenberg gewühlt hat. Die Akten enthalten die Vernehmungsprotokolle von 300 Zeugen, Unfallgutachten, die Blutuntersuchung des Fahrers Paul, der zur Zeit des Unfalls voller Alkohol und Antidepressiva gewesen sein soll, sowie den positiven Schwangerschaftsstest Dianas – wenn man dem französischen Polizisten glauben kann.

Auch darum ranken sich Verschwörungstheorien: Warum wurde Dianas Leichnam teilweise einbalsamiert, bevor er nach London geflogen wurde, Dodis jedoch nicht? Das Formaldehyd, das dabei benutzt wurde, führt bei einer Blutuntersuchung zu einem positiven Schwangerschaftstest. Ein Labor würde daher diesem Ergebnis keine Bedeutung beimessen, sondern es auf das Formaldehyd zurückführen, selbst wenn eine Schwangerschaft vorläge. War das der Sinn der Einbalsamierung?

Die Verschwörungstheorien haben aber alle einen Haken: Es waren Diana und Dodis Entscheidungen, das Pariser Ritz-Hotel zu einem bestimmten Zeitpunkt durch den Hinterausgang zu verlassen, den betrunkenen Henri Paul ans Steuer zu setzen und mit ihm durch den Altstadt-Tunnel zu rasen, ohne Sicherheitsgurte zu tragen.

Die Geheimdienste wären verrückt gewesen, die berühmteste Frau der Welt unter solch unvorhersehbaren Umständen umzubringen. Zur Heiligen wurde die Prinzessin allerdings erst, nachdem sie tot war. Als sie noch lebte, haben die Zeitungen und Zeitschriften mit Berichten über ihre Torheiten und Skandälchen die Auflage gesteigert. Unvergessen die Häme des Observer, der Dianas Intelligenzquotienten nur knapp über dem eines Blumenkohls ansiedelte, während der Sunday Mirror sie für „trivial und hirntot“ hielt.

Es war Diana und Dodis Entscheidung, den betrunkenen Henri Paul ans Steuer zu setzen

Beide Artikel erschienen ausgerechnet an dem Tag, an dem sie starb. Schon am nächsten Tag korrigierten sich die Blätter und behaupteten das Gegenteil. Die Kanonisierungskampagne wirkte. Diana, die umstritten war, nachdem sie in ihrem Panorama-Interview der Nation ihr Herz ausgeschüttet und dabei einen Seitensprung gebeichtet hatte, wurde zur Märtyrerin.

Seitdem wird alles, das bedruckbar ist, mit dem Diana-Konterfei verziert und verkauft: Tassen und Briefmarken, Margarinetöpfchen und Zuckerdosen, Geschirrtücher und Rubbellose. In Londoner Szenekneipen werden sogar Diana-Ecstasy-Tabletten angeboten.

Das Geld für die offiziellen Memorabilien geht an den „Princess Diana Memorial Fund“, der die Lizenzen an Firmen verkauft. Die Stiftung finanziert die Fürsorge für Krebs- und Aidskranke in Afrika, Projekte für Asylbewerber, für die Familien von Gefangenen und für obdachlose homosexuelle Teenager.

Mehrere Millionen gingen auch an Dianas Initiative gegen Landminen. Es war ihr Lieblingsprojekt, das Premierminister Tony Blair nach ihrem Tod werbewirksam auch zu seiner Sache erklärte. Wenige Jahre später durfte eine rumänische Rüstungsfirma ihre Landminen auf einer Ausstellung des Verteidigungsministeriums in Südengland anpreisen.

Tote Prinzessinnen machen einfach weniger Ärger.