: Die Zukunft braucht die Leitlinie
Der Minimalkonsens als Muntermacher: Die SPD müht sich in Weimar redlich, dem noch jungen Jahr etwas Innovatives einzuhauchen
AUS WEIMAR JENS KÖNIG
Parteien neigen offenbar ganz zwanghaft dazu, am Beginn eines jeden Jahres eine frohe Botschaft zu verkünden, ganz so, als erfinde sich die Politik in jedem Januar wieder neu. Dabei ist nicht ganz klar, ob die Parteien diese Botschaft brauchen, um sich selbst oder ihre Wähler zu berauschen.
Also hat die SPD 2004 zum Jahr der Innovation ausgerufen. Innovation – das klingt nach Fortschritt, nach Hoffnung, nach den lichten Höhen der Zeiten, die da kommen mögen nach den schmerzhaften Operationen am Sozialsystem, kurzum, es klingt nach allem. Also nach nichts. Und so konnte man während der zweitägigen Klausurtagung der SPD-Führung in Weimar so manchem hilflosen Versuch beiwohnen, das Thema Innovation in klare Worte zu fassen. „Wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens über die Notwendigkeit, etwas für die Zukunft zu tun“, sagte Generalsekretär Olaf Scholz. Mehr möchte man da gar nicht mehr wissen. Spätestens jetzt wird einem klar, dass das Luftige der ganzen Angelegenheit auch mit der SPD zu tun hat: Sie sucht krampfhaft nach einem Licht, mit dem sie sich dieses dunkle Jahr mit seinen 14 Wahlgängen einigermaßen hell ausleuchten kann.
„Das Problem mit der Innovation ist, dass das Thema immer nach Feuilleton klingt“, gibt Fraktionschef Franz Müntefering zu. „Es hat eine gewisse Unbestimmtheit.“ Nun fühlt sich die SPD für vieles zuständig, aber ganz bestimmt nicht fürs Feuilleton. Sie meint es ernst mit der Innovation. Sie will daraus Politik machen. Also haben Präsidium und Vorstand das Thema zwei Tage lang diskutiert, haben Gastreferenten wie Joachim Milberg, Ex-Vorstandschef von BMW, oder Jürgen Kluge, Leiter der McKinsey-Unternehmensberater, eingeladen, und am Ende ein etwas hochtrabendes Papier unter dem Titel „Weimarer Leitlinien Innovation“ verabschiedet.
Bevor dieses Papier überhaupt beschlossen war, wusste ganz Deutschland bereits, dass die SPD jetzt für Eliteuniversitäten eintritt. Diese Reizvokabel elektrisierte die Öffentlichkeit, so gesehen machte sie das schwammige Innovationsthema der SPD auf einen Schlag populär. Andererseits verengte dieses willkürliche Herausgreifen eines einzelnen Punktes das sozialdemokratische Anliegen, zumal der Begriff „Eliteuniversität“ in dem Papier gar nicht auftaucht, sondern von „Spitzenhochschulen“ die Rede ist und das Thema auf 14 Seiten ganze 5 Zeilen einnimmt.
Die Sozialdemokraten wollen Innovation als technologische, vor allem aber auch als gesellschaftliche Erneuerung verstanden wissen. In diesem Sinne erklärt ihr Parteivorsitzender Gerhard Schröder die Weimarer Leitlinien kurzerhand zu einem Teil seiner Agenda 2010 und umgekehrt die Agenda zur innovativen Leistung schlechthin. „Die Agenda 2010 hatte, was die sozialen Sicherungsysteme betrifft, einen innovativen Ansatz“, sagte der Kanzler. Nach den Sozialreformen kommt jetzt einfach der zweite Teil der Agenda: bessere Ausbildung, Qualifizierung und Forschung.
Deutschland soll technologisch wieder Spitze werden – bei der Entwicklung eines Internets der zweiten Generation, im Automobilbau, in der Medizintechnik, in der Energie- und Biotechnologie. Deutschland soll aber auch wieder Spitze werden bei Bildung und moderner Familienpolitik. Also soll es Spitzenunis geben. Die Bildung im Vorschulalter soll intensiviert werden. Es soll mehr Möglichkeiten für die Ganztagsbetreuung von Kindern geben. „Bis 2010 wollen wir Deutschland zum kinderfreundlichsten Land in Europa machen“, heißt es in dem Papier selbstbewusst.
Dieses Thema liegt Olaf Scholz besonders am Herzen. Er war es auch, der den Soziologen Gösta Esping-Anderson nach Weimar eingeladen hat. Der Däne, Professor in Barcelona, genießt bei einigen Sozialdemokraten ähnlichen Kultstatus wie vor ein paar Jahren der britische Ökonom Anthony Giddens. Esping-Anderson referierte in Weimar auf Englisch über sein Lieblingsthema: Sozialdemokratische Reformen müssen bei den kleinen Kindern anfangen. Der Däne predigt die Förderung frühkindlicher Erziehung. Die eigentliche Herausforderung für die europäischen Sozialdemokraten sieht er in den neuen Familienstrukturen und der Erwerbstätigkeit von Frauen. „Wir sind mitten in einer Revolution“, sagt Gösping-Anderson.
Die SPD bewältigt diese Revolution zunächst mit vielen schönen Absichtserklärungen, aber nicht mal die sind richtig neu. „Wir streben an …“, das ist der Sound des Innovationspapiers. Die Kassen sind leer, Bildung ist Ländersache, der Bund hat wenig Kompetenzen – über diese klitzekleinen Hindernisse ging die SPD in Weimar zunächst großzügig hinweg. Die gesellschaftliche Debatte eröffnen, die „Meinungsführerschaft erringen“ (Schröder), der Opposition das Thema aufzwingen – das ist das Kalkül der Sozialdemokraten. Der Kanzler wird als exekutive Untermauerung am 15. Januar einen Innovationsrat ins Leben rufen.
Die SPD-Spitze beschwört dafür schon mal den großen Geist. „Wir müssen mehr die Chancen und weniger die Risiken sehen“, sagt Schröder. „Deutschland muss mutiger werden“, sagt Müntefering. „Fortschritt lebt auch von Versuch und Irrtum.“ Und sein Stellvertreter Ludwig Stiegler bemüht sogar Roman Herzogs unselige Lieblingsthese. „Wir wollen den Ruck“, sagt Stiegler und meint damit die Rückkehr Deutschlands zum alten, allerdings etwas „veredelten Fortschrittsglauben“. Herzliche Grüße an seinen grünen Koalitionspartner hat Stiegler an dieser Stelle nicht übermittelt. Die Grünen werden sich auch so bedanken.