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Archiv-Artikel

„Wer miteinander handelt, schießt nicht so schnell“, sagt Tariq Ali

Pakistan und Indien nähern sich an – wohl auch auf Druck der USA. Doch echten Frieden wird es so nicht geben

taz: Indiens Premierminister Atal Behari Vajpayee und Pakistans Militärmachthaber Perves Muscharraf haben beim Südasiengipfel Gespräche für Februar vereinbart. Ein Grund zur Freude?

Tariq Ali: Nicht zur Freude, aber zu vorsichtigem Optimismus. Es gab solche Treffen schon – 2001 ist das letzte gescheitert. Aber angesichts der miesen Lage ist ein Treffen positiv.

Was ist das zentrale Problem?

Die Schlüsselfrage ist Kaschmir, das von indischen Truppen besetzt ist und von der schlimmsten Art muslimischer Fundamentalisten unterwandert wird, die es in der Region gibt. Die Inder wollen ihre Truppen nicht abziehen, während Pakistan angekündigt hat, die muslimische Unterwanderung zu stoppen. Aber das scheint mir unwahrscheinlich, weil Pakistan damit sein Druckmittel verlieren würde.

Es gibt schon lange den Vorschlag, die Waffenstillstandslinie, die Kaschmir teilt, als Grenze anzuerkennen. Könnte das eine Lösung sein?

Mittelfristig ja, um verrückte Kriege zu stoppen. Langfristig eher nein. Denn es bleibt ein wesentliches Problem: Niemand fragt, was die Menschen in Kaschmir eigentlich wollen. Muscharraf sagt, dass Pakistan nicht mehr auf einem Referendum in Kaschmir besteht. Aber was ist, wenn die Kaschmiri davon nicht lassen wollen? Immerhin hat ihnen dies einst die indische Regierung versprochen. Deshalb wird eine echte Lösung ohne die kaschmirische Bevölkerung nicht funktionieren.

Bringt die Freihandelszone, die beim Gipfel vereinbart wurde, etwas für Südasien?

Auf solche Dinge hat man sich schon mal geeinigt – aber ja: Es ist ein positiver Schritt. Die zentralen Probleme auf dem Subkontinent sind aber die Armut und die hohen Militärausgaben. Pakistan und Indien sind Atommächte. Es ist eine verrückte Welt: Der Irak wird besetzt, weil er angeblich über Massenvernichtungswaffen verfügte. Aber das Land, das tatsächlich über Massenvernichtungswaffen verfügt, das vom Militär regiert wird und in dem es viel mehr islamische Fundamentalisten als im Irak gibt, ist Pakistan.

Kann Freihandel die Armut in Südasien beseitigen?

Ach was. Freihandel löst nie Armutsprobleme, er dient nur den Geschäftsleuten, weil er Profite und Märkte vergrößert. Aber eine Freihandelszone kann die Kriegsgefahr verringern. Es ist schwierig, seinen Handelspartner anzugreifen, zu zerstören und zu töten.

Also wird der Freihandel dem Frieden nutzen?

Südasien droht ein Atomkrieg. Daher ist alles, was die Verbindungen zwischen den Ländern verstärkt, ein Schritt vorwärts.

In Pakistan gibt es einen starken islamischen Fundamentalismus. Wie bewerten Sie den Hindufundamentalismus in Indien?

Schrecklich. Es ist schockierend, dass Vajpayee als „sanfter Junge“ bezeichnet wird. Er ist der Führer einer streng autoritären, rechtsradikalen religiösen Partei. Die Weltöffentlichkeit ist derzeit vom Kampf gegen den Islamismus besessen – vom Hinduismus nimmt sie keine Notiz. Dabei sind in Indien von der hindunationalistischen BJP Verbrechen begangen worden. Bei den Massakern in Gujarat 2001 starben an die 3.000 Menschen und wurden 100.000 vertrieben – das ist vergleichbar mit dem Kosovo. Ich habe dazu von Politikern in Europa und den USA keinen Aufschrei gehört. Gar nichts. Das nenne ich Doppelmoral. Schockierend in Indien ist auch der Umgang mit Minoritäten. Und wie versucht wird, dem vielfältigen Subkontinent eine homogene Geschichte und Kultur aufzupfropfen.

Malen Sie nicht zu schwarz? Die Annäherung zwischen Indien und Pakistan zeigt, doch dass es offenbar einflussreiche zivile Kräfte in den Gesellschaften gibt.

Die beiden Hauptakteure sind die pakistanische Armee und die Hindufundamentalisten. Beide verdienen wenig Vertrauen, beide sind nur an Machterhalt interessiert. Wenn sie Reiseerleichterungen ermöglichen, die Kommunikation verbessern und die närrischen Barrieren zwischen beiden Ländern verringern, dann ist das gewiss ein kleiner Schritt vorwärts. Aber ob sie weiter gehen werden, das bezweifele ich. Denn gäbe es echten Frieden, dann würde Pakistans Militär die Rechtfertigung für seine Herrschaft verlieren. Umgekehrt würde die Feindschaft der hindunationalistischen BJP gegenüber Indiens Muslimen völlig absurd erscheinen, wenn Indien Freundschaft mit Pakistan schließt. Deshalb wird diese Annäherung Grenzen haben.

Wer betreibt denn dann diese Annäherung?

Die Geschäftsleute und Bourgeoisie auf beiden Seiten. Aber sie haben nicht genug Macht. In Indien ist sie ohnehin in sich gespalten. Der wirkliche Motor der Annäherung sind wohl eher die USA. Aber auch das hat Grenzen.

Warum?

Die USA handeln nach ihrem Interesse – immer. Momentan sind sie beunruhigt wegen Pakistans Atomwaffen. Aber sie können nicht viel dagegen tun. Deshalb forcieren sie diese Annäherung, um Pakistan dann zum Atomwaffenverzicht zu drängen. Doch das wird Pakistan nicht mitmachen – solange Indien Atomwaffen hat, und Indien verweist auf China. Das ist der Kreislauf: „Wenn du die Bombe hast, will ich auch eine haben.“ Dieser Kreislauf wird weitergehen. Muscharraf wird nie auf Atomwaffen verzichten.

INTERVIEW: SVEN HANSEN