Zum Glitter berufen

Smells like Queen Spirit: Courtney Love hat auf Knien gebettelt, um mitsingen zu dürfen bei den Sqeezebox-Partys in New York. Jetzt haben Gloria Viagra und Sherry Vine, zwei Fulltime-Drag-Queens aus Berlin, die legendäre Show in das Big Eden verlegt

VON JAN KEDVES

Ein Baby, das bereits aufgetakelt mit Pailletten aus dem Mutterleib rutscht? Eine glamourösere Geburt kann man sich wohl kaum wünschen. Wenn Michel Gosewisch sich richtig erinnert, hat sein Debüt als Showgirl tatsächlich so ausgesehen: direkt ein großer Auftritt. Heute, ein paar Jahre später, firmiert der gebürtige Berliner unter dem Namen Gloria Viagra als „größte Frau der Stadt“. Zwischen 2,15 und 2,30 Meter misst er im Drag-Outfit, je nach Perücke, und glitzert dabei wie damals im Kreißsaal – selbst tagsüber, wenn man ihm in Jeans und Turnschuhen begegnet.

„Den Glitter kriegt man nie ganz weg“, lacht Gosewisch mit sattem Bass. „Mein Bad, mein Bett, alles ist voll damit.“ Bei seinem Kollegen Keith Levy dürfte es kaum anders aussehen. Auch er ist ein geborenes Showgirl –zwar gut einen halben Kopf kürzer, dafür aber geschmückt mit einer eleganten Nase, einem Augenaufschlag, der selbst unter „echten“ Damen seinesgleichen sucht, und mit einer Stimme, die in New York – wo Levy sich als Sherry Vine einen Namen machte, bevor er vor zwei Jahren nach Berlin zog – so manchen Broadway-Star zum Erblassen brachte.

Michael Musto, der gefürchtete Tratschkolumnist der Village Voice, nannte das platinblonde Bühnenwunder einmal „the Elizabeth Taylor of downtown theater“, und obwohl das als Kompliment gemeint war, bleibt der Gelobte auf dem Teppich: „Ich mache eben das, wozu ich mich berufen fühle“, flötet er bescheiden. Im Team machen sich Sherry Vine und Gloria Viagra seit vergangenen Juni um das Berliner Nachtleben verdient – als Initiatorinnen einer monatlichen Drag-’n’-Roll-Party im Big Eden. Partys gibt es wie Sterne am Himmel, doch „Squeezebox“ – wie Vine ein Import aus den USA – ist das, was die anderen gern wären: eine echte Legende.

Mitte der Neunziger von vier Schwulen in einem ehemals stockheterosexuellen Rockschuppen im New Yorker Stadtteil Tribeca gestartet, war Squeezebox bis Mai 2001 der wöchentliche Rettungsanker für die alternative Homoszene New Yorks: Während das Nachtleben der Stadt sonst großflächig von House-Music-Höllen wie dem Twilo, Limelight oder Roxy dominiert wurde, ließ sich im „Don Hil’‘s“ jeden Freitag eine polysexuell-transidentische Crowd schrille Gitarren-Feedbacks um die Ohren pfeifen. Mit Stiletto und Stinkefinger, Pogo und Perücke: Sex, Drags & Rock ’n’ Roll, sozusagen.

Bevor Keith Levy nach Berlin umsiedelte, stakste er bei diesen bunten Abenden regelmäßig als Host und Performer über die Bühne. „Wir haben ‚Squeezebox‘ immer als ‚pansexuelle‘ Party bezeichnet, weil wirklich jeder seine Rolle ablegte, sobald er durch die Tür kam. Wie an einer Garderobe“, erinnert er sich. Hinter vorgehaltener Hand weitergetratschte Anekdoten wissen, dass vor der Toilette des Don Hill’s regelmäßig Gedränge herrschte, weil sich drinnen wieder mal eine Drag Queen den süßesten „Hetero“ des Abends gönnte, dass Hedwig, die Transe aus „Hedwig and the Angry Inch“, auf der Squeezebox-Bühne geboren wurde, dass Courtney Love auf Knien bettelte, auch mal ein Lied singen zu dürfen, und dass Drew Barrymore irgendwann oben ohne auf der Bar tanzte, während sich unten Debbie Harry und die Ramones zuprosteten.

Auch wenn es bei den bisher sieben Squeezebox-Neuauflagen am Ku’Damm mit solch gossipträchtigen Celebrity-Sichtungen noch nicht ganz geklappt hat – bis jetzt waren es, nun ja, Thomas Herrmanns, Georg Uecker und Dolly Buster – und das Publikum mit der Fummelverliebtheit der Gastgeberinnen noch nicht so richtig wetteifern will: Die Party ist auch im Berliner Nachtleben ein Highlight. Es gibt in der Stadt zwar auch andere Veranstaltungen für Homos, die auf Gitarrensound stehen, aber ein Abend, an dem sowohl männliche als auch weibliche Gogos ihre Talente kreisen lassen und Drags – unterstützt von einer toughen Frauenband – für einen schwulen Moshpit-Klassiker wie „Smells Like Teen Spirit“ oder „Highway to Hell“ schmettern, ist doch ziemlich einzigartig.

Rock ’n’ Roll ist für die Squeezebox-Patinnen nicht nur einmal im Monat Herzensangelegenheit – auf einen Stil festlegen lassen sie sich allerdings nicht: Sherry Vine ist auch mit ihrem Soloktabaret-Programm gefragt, bei dem sie Pop und Jazz von Pink bis „The Lady is a Tramp“ interpretiert, und in „The Raspberry Reich“, dem neuen Werk von Gay-Film-Ikone Bruce LaBruce, trällert sie als Nightclub-Chanteuse die US-Nationalhymne. Gloria Viagra – im Tuntentrash um SO 36 und SchwuZ groß geworden – kennt man als Moderatorin der Teddy-Gala, als DJ auch auf Nicht-Rock-Partys und als Kolumnenschreiberin für das Schwulenblatt Sergej. Zwei Fulltime-Drag-Queens im Rund-um-die-Uhr-Einsatz. Im Fall Viagra neuerdings sogar, wie Michel Gosewisch nicht ohne Schmunzeln verrät, hochoffiziell mit eigener „Transen-Ich-AG“.

Arbeitsmaterial lässt sich nun also elegant von der Steuer absetzen. Da kommt, nicht zuletzt für Squeezebox, so einiges zusammen: Die Make-up-Töpfe halten zwar lange, die Perücken mögen günstig aus Übersee mitgebracht worden sein, die Fummel aus türkischen Schnäppchenläden stammen und Drinks wie Ballantine’s Ginger Ale – Rollsplit für raspelige Rockröhren – aufs Haus gehen. Doch die feinen Damenstrumpfhosen in Herren-, sprich: Spezialgröße, zu mehreren übereinander getragen, reißen immer wieder Löcher in die Kasse. Die Squeezebox-Frontfrauen können ein Lied davon singen. „Irgendjemand brennt einem nachts garantiert ein Loch rein.“

Squeezebox „Rock like an Egyptian“, Fr., 9. Januar, 23 Uhr, Big Eden www.squeezebox-berlin.de