piwik no script img

Archiv-Artikel

Der Kanzler plant ein Strohfeuer

Die Bundesregierung bereitet ein Investitionsprogramm vor, um die Konjunktur zu stabilisieren und den Kommunen zu helfen. Die Erwerbslosigkeit nehme dadurch nicht ab, warnen Ökonomen. Rot-grüne Finanzpolitiker lehnen höhere Verschuldung ab

von HANNES KOCH und LUKAS WALLRAFF

Um die Handlungsfähigkeit der Regierung unter Beweis zu stellen, planen Kanzleramt und Finanzministerium offenbar ein kleines Konjunkturprogramm. Ein Regierungssprecher bestätigte gestern „interne Überlegungen in diese Richtung“. Dabei gehe es vornehmlich um Investitionshilfen „für die Kommunen“. Die haushaltspolitische Sprecherin der Grünen, Antje Hermenau, lehnte ein solches Programm dagegen ab: „Schuldenkonjunktur machen wir nicht.“

SPD-Politiker hatten in den vergangenen Tagen mehrfach nach einer Finanzspritze verlangt, um zu verhindern, dass die schwache Konjunktur noch weiter wegbricht. Währenddessen bereitet das Kanzleramt für den 14. März eine Regierungserklärung vor, die neben Reformen im Sozialsystem auch ein Investitionsprogramm beinhalten könnte.

Die Welt berichtete gestern, Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) lasse ein Programm in Höhe von rund sechs Milliarden Euro prüfen. Davon sollten rund 750 Millionen Euro aus der geplanten Steueramnestie, eine Milliarde aus nicht verbrauchten Fluthilfe-Mitteln und rund vier Milliarden aus Umbuchungen im Bundeshaushalt und Neuverschuldung stammen.

Über politische Symbolik würde eine Intervention des Staates in Höhe von sechs Milliarden Euro freilich nicht wesentlich hinauskommen. Klaus Zimmermann, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, warnte gestern davor, auf eine kurzfristige Senkung der Arbeitslosigkeit zu hoffen. Die Maßnahmen würden gerade mal verhindern, dass die Zahl der Erwerbslosen weiter so stark zunimmt wie bisher.

Nach einer Faustregel von Ökonomen könnten sechs Milliarden Euro staatlicher Mittel weitere drei Milliarden an Nachfolgeinvestitionen von Bürgern und Unternehmen innerhalb von zwei Jahren nach sich ziehen. Bis 2005 könnte das Bruttoinlandprodukt dadurch um 0,4 Prozent erhöht werden.

Als isolierte Maßnahme hält DIW-Chef Zimmermann ein Konjunkturprogramm für ein „Strohfeuer“. Eine Finanzspritze für die Kommunen und die gebeutelte Bauwirtschaft müsse in ein „Gesamtpaket eingebettet“ sein. Dazu gehörten in jedem Fall „Strukturreformen“ zum Beispiel beim System der sozialen Sicherung, so Zimmermann.

Neben der grünen Haushaltssprecherin Hermenau äußerte sich auch die Finanzexpertin der Partei, Christine Scheel, kritisch zu dem Sechs-Milliarden-Programm: „Ich kann mir nur vorstellen, dass da ein Versehen passiert ist.“ Ihr sei ein „völliges Rätsel“, wo angesichts des engen Bundeshaushaltes das Geld herkommen solle, so Scheel. „Die Neuverschuldung ist tabu“, ergänzte ihre Kollegin Hermenau.

Skeptisch äußerte sich auch der Haushaltsexperte der SPD, Walter Schöler: „Das ist eine Flugente, die zum Karneval passt.“ Eine „höhere Neuverschuldung ist mit den Haushältern nicht zu machen, mit mir nicht und mit Rot-Grün nicht“, so Schöler.

Außer bei den Finanz- und Haushaltspolitikern nimmt die Abneigung gegen eine höhere Neuverschuldung in der Regierung jedoch deutlich ab. Eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums schloss gestern nicht grundsätzlich aus, dass die schlechte wirtschaftliche Lage in 2003 eine höhere Kreditaufnahme als die von Eichel geplanten 18,9 Milliarden Euro erfordern werde.

Diese Annahme wird umso realistischer, da die unionsregierten Ländern gestern das rot-grüne Gesetz zum Abbau von Steuersubventionen im Bundesrat komplett abgelehnt haben. Das Paket sollte in diesem Jahr rund 3,6 Milliarden Euro erbringen. Kompromissbereit zeigte sich die Union nur bei einer möglichen Reform der Körperschaftssteuer für Unternehmen. Gerhard Stratthaus, CDU-Finanzminister von Baden-Württemberg, sagte, dass die Verrechnung aktueller Gewinne mit alten Forderungen der Betriebe zulasten der Finanzämter zeitlich gestreckt werden müsste. Damit könne man verhindern, dass die Unternehmen ihre steuerpflichtigen Gewinne auf null rechnen.