: Die Fisch-Connection
Fischer Arnim Lossow über die Gesetze der Jagd im globalisierten Vorpommern: „Früher haben die Polen mir die Netze aus dem See geklaut und waren weg – heute grüßen sie zuerst und klauen dann“
Arnim Lossow ist Fischer im vorpommerschen Dorf Glashütte. Mitten durch seinen See geht die deutsch-polnische Grenze in der Nähe von Stettin. Zu DDR-Zeiten war die Gegend Jagdgebiet der NVA-Generäle und ihrer Gäste.
Im Frühjahr und Sommer hab ich die besseren Fische, weil meine Seite des Sees flach ist. Aber jetzt im Winter, das heißt ab Herbst schon, haben die Polen den besseren Fang. Da verziehen sich die Fische ins Tiefe. Ich halte mich noch an die Grenze, doch die Kollegen drüben, für die gilt schon das vereinigte Europa. Bis an meinen Bootsschuppen kommen sie manchmal ran. Als drüben im Schloss Stolzenburg (heute Stolec) noch die polnische Grenztruppe war und die Jungs öfter bei mir angelten, da hieß es bloß: „Ich Hauptmann in Pomellen, kein Problem.“
Jetzt hatten wir die Polen zum Herbstfest eingeladen – die beiden Dörfer Glashütte und Stolzenburg waren vor dem Krieg eine Gemeinde. Dort das Rittergut, hier die Glasproduktion. Man kann zu Fuß durch den Wald rüberlaufen. Damals haben hier einige hundert Leute gearbeitet. Mit der ABM-Truppe habe ich eine Chronik darüber gemacht, vor allem zur Geschichte der Glashütte, die bis 1929 in Betrieb war. Fürs Heimatmuseum wurde auch ein Modell dazu gebaut und Erklärtafeln im Dorf aufgestellt. Man sieht ja heute nichts mehr, weil die Fabrik komplett abgerissen wurde.
Na jedenfalls, es war das erste Treffen der beiden Dörfer seit 1945, und es hat was gebracht: Früher haben die Polen mir die Netze aus dem See geklaut, dann waren sie weg. Heute grüßen sie erst und klauen dann die Netze. Für 200 Euro kann ich mir dann das Zeug in Stettin auf dem Markt zurückkaufen. Den See wollte ich schon 1979 haben, aber der Kreis war dagegen. Ich musste in die Jagdwirtschaft. Doch wenn General Hoffmann zur Jagd kam, hieß es: „Sieh zu, Arnim, der isst gern Fisch.“ Ich habe dann die Netze extra länger stehen lassen, damit mehr drin war. Den Fisch hat sich der General selbst geholt und mich dann zum Schnaps eingeladen. Da hab ich 1982 meinen ersten Tequila getrunken.
Später kam Hoffmanns Nachfolger Kessler, und auch Schalck-Golodkowski war dabei. Sigmund Jähn war besonders großzügig. Er stellte für die Treiber an jedes Geweihende des erlegten Hirsches eine Flasche Moskowskaja. Und das waren fast immer Vierzehn- und Sechzehnender, die hier geschossen wurden. Die Jagdhütte steht immer noch. Man hat einen herrlichen Blick von dort über den See. Jetzt gehört sie dem Rotary-Club und verfällt langsam. Die Jäger legen heute ihre Strecke woanders. Bis zu 5.000 Euro zahlen sie für einen großen Hirsch oder einen Mufflon. Nur für den Abschuss – das Fleisch kostet noch mal extra. Es sind Adlige aus Bayern oder Barone aus Belgien, alles Leute mit Geld. Wie sagte mein alter Chef: „Der Trog ist der gleiche, fressen nur andere Schweine draus.“
Es sind Trophäenjäger, bei denen es zu Hause keine Hirsche mehr gibt. Meinen Fisch nehmen sie aber auch gern mit. Als Kompott sozusagen. Wenn der Baron anruft und frisch geräucherten Lachs mitnehmen will, steh ich um vier Uhr auf. Kein Problem, der zahlt schließlich ordentlich. Doch das allein hält mich nicht über Wasser.
Über den Winter hab ich zum Glück wieder eine ABM im Nachbardorf. Anschließend fahre ich noch raus, nach den Netzen gucken. Sechs Hechte waren heute drin. Über die Woche läppert sich das: Aal, Karausche, Barsch oder Karpfen. Ich räuchere den Fisch und bring ihn auf Bestellung an die Haustür. Doch viele Leute zahlen nicht gleich und vertrösten mich auf später. Ausgerechnet die, die es dicke haben. Letztes Wochenende hatte ich über 250 Euro Außenstände. Das ist keine Zahlungsmoral, nee.
Nach der Wende hatte ich mich gleich selbstständig gemacht. Bis 1995 lief das Geschäft auch ganz gut. Dann übernahm ich den Fischladen in Pasewalk, aber das war mein größter Fehler. Die Angestellten kosteten zu viel und ich fing an, alles allein zu machen: morgens um drei nach Wolgast, Fisch geholt, und um acht wieder zurück. Mit dem Auto vierzig Dörfer abgeklappert und abends noch zum See. Um zehn war Feierabend. Das habe ich ein Jahr gemacht und dann ist mir der Sargdeckel auf den Kopf gefallen: Herzinfarkt. Danach musste ich kürzer treten, zur Reha und eine Diät machen.
In der Zeit fing ich an, Polnisch zu lernen. Inzwischen bin ich öfter in Stettin als in Pasewalk. Mich interessiert, was dort passiert. Mein Großvater hat noch im Stettiner Finanzamt gearbeitet. Zweimal in der Woche gehe ich zum Sprachkurs. Das kostet fast nichts, trotzdem kriegen wir jedes Mal kaum sieben Leute zusammen. Wenn ich um neun ins Bett gehe, lerne ich immer eine halbe Stunde Vokabeln mit Kassette. Und wer weiß, wenn wir jetzt öfter mit den Polen feiern, bleiben vielleicht eines Tages auch meine Netze stehen.
PROTOKOLL: ANJA BAUM