Ticket ins Paradies

Der Deutsche Steven Smyrek fand bei Islamisten ein Zuhause – und zur Mission als Selbstmordattentäter („Für Allah in den Tod“, 21.45 Uhr, ARD)

VON JAN FEDDERSEN

Er sitzt momentan in einem israelischem Hochsicherheitsgefängnis. Und geht es nach den Geheimdiensten des Landes, soll er auch nie wieder in Freiheit kommen. Aber Steven Smyrek wird aus der Haft entlassen – rechtsstaatlich wurde er zu einer nur 10-jährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Denn der 32 Jahre alte Deutsche hat gestanden, Ende der Neunzigerjahre von Braunschweig aus über Amsterdam und Rom nach Tel Aviv geflogen zu sein, um in Israel einen Selbstmordanschlag zu verüben.

Nach allem, was die Sicherheitsbehörden Israels, Großbritannien, der USA und der Bundesrepublik wissen, hat sich Smyrek islamistischen Zirkeln angeschlossen, mit Kontakten zum Kalifenstaat, wahrscheinlich auch zu Funktionären al-Quaidas. Smyrek war ein besonders gut geeigneter Kader für diese Kreise, denn er sieht sehr unauffällig aus – und würde bei israelischen Fahndern am Flughafen von Tel Aviv ebendeshalb keinen besonderen Verdacht erregen: Nie würden sie in ihm einen Attentäter vermuten.

Der Fall des festgenommenen Deutschen erregte seinerzeit kaum Aufsehen. Allzu bizarr wirkte es, dass ein Deutscher ohne muslimische Herkunft, bar, wie sich herausstellte, jeder realen Kenntnis von Israel und der komplizierten Geschichte des Nahen Ostens, ähnlich operiert wie eine Fülle anderer Männer (und Frauen), die sich und viele Menschen in Caféhäusern, in Omnibussen oder auf Bahnhöfen umbringen, um, so ist ihnen versprochen, „ins Paradies“ zu kommen.

Verzweifeltes Leben

Tatsächlich hat der NDR-Redakteur Eric Friedler für die ARD diese, nämlich die Geschichte des gebürtigen Deutschen Steven Smyrek recherchiert – und sie durch dessen Mutter, den leiblichen Vater, durch Geheimdienstler und durch einen Freund aus Braunschweiger Tagen erzählen lassen. Minutiös listet der Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis-gekrönte Autor – der aus dem exzellenten Pool von „Report“ aus Mainz stammt – das Leben dieses Mannes auf. Und plötzlich hat dieser Fall keinen Ruch von Exzentrik mehr, sondern die Zwangsläufigkeit eines verzweifelten Lebens. Vom Vater geschlagen und gedemütigt, von der Mutter wohl nur unzureichend geschützt, fand Smyrek erst in einem britischen Militärinternat beim Waffendienst zu erster Anerkennung.

Als er nach Deutschland zurückging und auch seine Mutter, die bei seinem Stiefvater in England blieb, verließ, fand er einen Job in einem türkischen Imbiss – und zeigte sich offenbar tief beeindruckt von der familiären Kraft seiner Arbeitgeber. Friedler schildert eindringlich, wie leicht es war, dass ein untertäniger Charakter wie der Smyreks, geboren aus liebloser Not, seine Hilfe fast andiente, um bei seiner Ersatzfamilie unterzukriechen. Von dort aus war es kein weiter Weg zu islamistischen Kadern, deren Zusammenhalt ihm mehr bedeuten musste als eine türkische Familie, deren Teil er nie wirklich werden würde. Unter muslimischen Fanatikern fand er schließlich auch die Begründung für seinen Konsequenzwahn, für seine Entschlossenheit, auch gedanklich sein Leben aufs Spiel zu setzen. Im Film sagt er dem Autor, lächelnd, überaus selbstgewiss, unerschütterlich, dass er keine Angst vor dem Tod habe, denn auf ihn warte das Paradies. Dass er mit seiner Aktion andere mit in den Tod reißen werde, kümmert ihn nicht: Das sei der Preis, denn Israel sei ja unrechtmäßig erobertes Land.

Tränen der Mutter

Friedler konnte mit einer Ausnahmegenehmigung Smyrek im Gefängnis besuchen – Resultat journalistischer Hartnäckigkeit, die den Zuschauer mit einem horriblen Porträt belohnt. Smyrek – der Paradiessucher von nebenan. Besonders bedrückend die von Tränen begleitete Aussage der Mutter, sie kenne ihren Sohn nicht mehr. Möglicherweise ließe sich am Ende fragen: Hätte sie ihn nicht viel früher beschützen müssen, um ihn von der Suche nach Geborgenheit bei bösen Mächten abzubringen?