: Sehnsüchtige Blicke über das Meer
Gelungene Mixtur aus einheimischer Musik und europäisch geprägten Tanzformen: Das kapverdische Ensemble Raiz di Polon bringt in „CV Matrix 25“ auf Kampnagel widersprüchliche nostalgische Regungen auf die Bühne
Ein warmer, prickelnder Schauer ist dieser Ruf nach Heimat, der, von den Kapverdischen Inseln ausgesandt, auf Kampnagels Bühne niederging. Ein Schauer, auf den die Bewohner des ausgedörrten Landes oft lange warten müssen, da es mitunter bis zu 15 Jahre keinen Regen gibt. So scheinen sie alle Sehnsucht nach Leben in Musik und in Tanz zu legen. In einen stolzen, dabei spielerischen und sinnlichen Tanz, in dem sich Gesang und Lautmalerei in den Rhythmus der Bewegungen einfügen.
Die Compagnie Raiz di Polon um den Choreografen und Tänzer Mano Preto bescherte mit ihrem schlicht wundervollen, musikalischen Tanzgedicht CV Matrix 25 dem Festival „Polyzentral“ einen gelungenen Auftakt. Verdörrtes Laub umsäumt die Bühne, knorrige Äste schweben wie ein kunstvoll zusammengestecktes Mobile im Raum. Ein Tor zur Welt, unter dem sich die zwei Frauen und drei Männer immer wieder neu formieren, gegenseitig ihre Schultern erklimmen, als schauten sie über das Meer. Dazu trommeln sie mit Stöcken auf das harte Holz, spielen auf den traditionellen Percussionsinstrumenten, die Pilon, Colex oder Ferrinho heißen, oder schlagen den Rhythmus einfach mit der flachen Hand auf ihre Schenkel.
Reduziert setzen sie ihre Mittel ein, verweben die Fäden zu einem atmosphärisch dichten Klanggebäude. Wie fliegende Fische hechten die Tänzer flink über den Boden, locken mit seltsam vibrierenden Lauten aus Muschelhörnern. Die Frauen betören mit Sirenengesang, ihre Hüften schwingen dabei keck zu ihren kurzen, schnellen Schritten. Mit warmer, klarer Stimme kündigt sich der Auftritt von Mário Lúcio Sousa, Sänger und Songwriter der Weltmusikgruppe Simentera, an. Vom Weggehen und von Wiederkehr, vom Tod und neu beginnendem Leben erzählen seine in kreolischer Sprache gesungenen Lieder. Manchmal mischen sich Anklänge an die beschwingte kapverdische Tanzmusik darunter.
Die Sprünge und Hebungen der Tänzer gehen dagegen vielfach auf Techniken und Formen des europäischen zeitgenössischen Tanzes zurück, die sie in Workshops mit internationalen Choreografen studiert haben. So organisch, wie sich diese allerdings in die Körper ihrer Interpreten eingeschrieben haben, geben sie Zeugnis von der Kreativität dieser jungen Gruppe. „Identität“, sagt Mano Preto später, „das bin ich. So wie ich hier stehe.“ Marga Wolff
Uhr Raiz di Polon – CV Matrix 25: 1.3., 21 Uhr, Kampnagel. Raiz in Concert, 22 Uhr, Kampnagel-Foyer