: Vom Himmel durch die Talstation zur Hölle
Körpertheater versus Sprachgeflecht: Am Freitag hatte Elfriede Jelineks „In den Alpen“ Premiere im Schauspielhaus des Bremer Theaters
„Katastrophen“, so Elfriede Jelinek über ihren Schreibimpuls, „Katastrophen sind Auslöser, weil sie die Verhältnisse bündeln wie ein Laserstrahl. Die Katastrophe als jähes Ereignis zerstört den Mythos des Planbaren und der Berechenbarkeit.“ Mit „Stecken, Stab und Stangl“ hat Jelinek 1996 zum ersten Mal auf ein aktuelles Ereignis reagiert, damals war es die Ermordung von vier Roma-Männern im Burgenland. Ihr jüngster Theatertext „In den Alpen“ verhandelt die Bergbahnkatastrophe von Kaprun im November 2000, bei der 155 Menschen in einem Tunnel verbrannten.
Ein „Gespräch unter Toten“, verortet in einer Talstation: Rote Hartschalensitze, im Viereck angeordnet auf der Bühne des Schauspielhauses. In der Mitte eine Pappmaché-Miniatur-Alpenlandschaft und eine Treppe nach unten. Direkt darüber in der Decke ein Loch, durch das sich später der Bergrettungsmann abseilen wird.
Wände, Boden und Decke hat Bühnenbildnerin Kathrin Frosch mit sterilen Spanplatten vernagelt. Es ergibt sich eine klaustrophobische Raumsituation mit Vertikale: Vom Himmel durch die Talstation zur Hölle. Die Welt draußen wird durch Monitore ins (End-)Spiel gebracht, Heimatfilme oder Abfahrtsrennen-Videospiele laufen vor sich hin. Von den Alpen ist nur ihre mediale Verwurstung übrig.
Und von den Menschen zeugen nur die Leichensäcke. Das „Kind“, die „junge Frau“, die „ältere Frau“ und der „Sänger“ treffen sich hier nach ihrem Ableben, sie können nicht mehr handeln, nur noch labern, jammern, Späße machen, sich abarbeiten an dem Bergrettungsmann, der als einzig lebender durch die Szenerie stapft. Das tun sie im für Jelinek typischen disparaten Sprachgeflecht: Phrase trifft auf Philosophie, Kitsch auf Erkenntnis, Platitüde auf hintersinniges Zitat. Werbe- und Medienrhetorik auf stehen neben Verzweiflung, die Satzhülsen sind aneinander gepappt, lassen keine Charaktere entstehen. Jeder Sprachduktus wird sofort wieder gebrochen. Die Wahrheit spiegelt sich an der Katastrophe, die dem Text zugrunde liegt. Bedeutung ergibt sich aus der Reibung zwischen den Sprachebenen.
Es ist ein sperriger Text, den Regisseurin Karin Henkel im Bremer Theater sehr sinnlich umsetzt: Torsten Ranft als „das Kind“ und Wiltrud Schreiner als „junge Frau“ spielen mit vollem körperlichen Einsatz an gegen Jelineks Text-Cluster, spielen jeden Richtungswechsel des Textes aus und mit – was beeindruckt. Vor allem Ranft läuft zur Hochform auf, ist mal cool gestikulierender Hip Hopper, mal lieber kleiner Junge, mal Satansbraten mit bösem Blick. Jelineks Ablehnung des „‚Ausdrucks‘ eines gelernten Schauspielers“ und ihre Einschätzung, der Schauspieler ahme „sinnlos den Menschen nach“ werden hier virtuos unterwandert.
Seltsam nur der Spannungsbogen, der sich so ergibt: Nachdem sich der Bergretter zur Pressekonferenz in die Mediengesellschaft hochgeseilt hat, nachdem die Opfer von Geldgier und Geltungssucht niemanden mehr zum Arbeiten haben, stehen sie da wie bestellt und nicht abgeholt. Der „Mann“ (Detlev Greisner) tritt auf, formuliert mit Zitaten aus Paul Celans „Gespräch im Gebirg“ einen Gegentext zu alpenländischen Freizeitwelten und eröffnet einen neuen Diskurs, nämlich den des Antisemitismus in Österreich. Eine weitere Katastrophe kommt ins Spiel – und bündelt den Theaterabend nicht, sondern zerfasert ihn.
Klaus Irler
nächste Aufführungen: 5. und 7. März