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Archiv-Artikel

Ein Mann ohne Vergangenheit

Der ehemalige Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeier glänzt im Kölner Müllprozess vor allem mit Gedächtnislücken. „Daran kann ich mich nicht erinnern“, lautet sein Standardsatz vor Gericht

VON PASCAL BEUCKER UND FRANK ÜBERALL

Irgendwann wurde es dem Vorsitzenden Richter Michael Baur dann doch zu bunt: „Herr Ruschmeier, Sie waren damals Oberstadtdirektor und Aufsichtsratsvorsitzender der AVG!“, hielt Baur dem Zeugen genervt entgegen. Und Lothar Ruschmeier antwortete: „Das ist richtig, das stelle ich auch gar nicht in Abrede.“ Dies war allerdings dann auch beinahe die einzige Antwort, die er gestern im Müllprozess vor dem Landgericht einigermaßen eindeutig beantworten konnte oder wollte. Ansonsten scheint sich die Zeit auf dem Chefsessel in der Kölner Stadtverwaltung für den heute 58-Jährigen nur noch als weitgehend schwarzes Loch darzustellen. Denn sein Standardsatz während der mehrstündigen Vernehmung lautete: „Daran kann ich mich nicht erinnern.“

Aber wie hätte sich der Oberstadtdirektor von 1990 bis 1998, der anschließend in die Geschäftsleitung der Oppenheim-Esch-Holding wechselte, auch an etwas für ihn so Unbedeutendes wie den Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage (MVA) erinnern sollen? Das über 400 Millionen Euro schwere Großprojekt, Kölns größte öffentliche Investition aller Zeiten, und seine Arbeit als Aufsichtsratschef des Müllofenbetreibers AVG hätten „nicht im Zentrum meiner Tätigkeit“ gestanden, bekundete Ruschmeier. Dem sichtlich ungläubigen Richtern versicherte er: „Ich will Sie ja gar nicht belügen.“ Aber, so hielt Ruschmeier ihnen vor: „Sie stellen Ansprüche an mein Erinnerungsvermögen, die ich nicht erfüllen kann.“

Ruschmeier war von seinem Bonner Hausanwalt Helmut Neumann, der auch die Landes- und Bundes-SPD im Kölner Parteispendenskandal vertreten hat, bestens präpariert worden: Bloß keinerlei Aussagen treffen, auf die der einstige Strippenzieher hätte festgenagelt werden können, lautete offenbar das Motto. Warum sich die Stadt dafür entschied, an der AVG ein privates Unternehmen zu beteiligen? „Ich kann mich an keine Gründe erinnern.“ Ob es neben dem Viersener Entsorgungsunternehmen Trienekens noch andere Bewerber gegeben hätte? „Ich kann mich nicht erinnern.“ Ob auch noch andere Firmen aus der Trienekens-Gruppe an den Bereich AVG angebunden worden seien? „Das weiß ich nicht.“ Ob der damalige Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes ihm die Firma Steinmüller für den Bau der MVA empfohlen habe: „Auch wenn Sie jetzt sagen, das kann doch alles nicht sein – ich kann mich daran nicht erinnern.“ Ob er noch in mehr AVG-Ausschüssen gesessen habe als dem des Aufsichtsrats? Er weiß es nicht mehr: „Die Anzahl der Gremien, in denen ich vertreten war, war relativ groß.“ Auch die Frage, warum die Stadtverwaltung anscheinend zu Unrecht in den 90er Jahren fünf Millionen Mark Schadensersatz an die AVG zahlen musste, vermochte Ruschmeier nicht mehr zu beantworten. Ob der Rat über die Höhe des Schadensersatzes im Fall des Verzichts auf die Müllverbrennung getäuscht wurde, mag er auch nicht mehr wissen.

Nur in einem aber war sich der heute 58-jährige Geschäftsführer sicher: Den inzwischen unter Korruptionsverdacht auf der Anklagebank sitzenden Ulrich Eisermann habe er selbst als AVG-Geschäftsführer „ausgeguckt“ und durchgesetzt. Zu dem „Uli“ habe er ein „kooperatives und vertrauenswürdiges Verhältnis“ gehabt. Dessen Bonmot, zwischen Ruschmeier und „dem lieben Gott“ habe nur ein kleiner Abstand bestanden, er wisse jedoch nicht, in welche Richtung, kommentierte Ruschmeier mit Schmunzeln: „Ich nehme das mal positiv.“ Aber, so fügte er schnell hinzu, das sei nur der subjektive Eindruck Eisermanns gewesen. Von dessen krummen Geschäften will er natürlich nie etwas geahnt haben.

Richtig ärgerlich wurde Richter Baur, als es darum ging, warum Mitgliedern des Aufsichtsrats in den 90er-Jahren Unterlagen vorenthalten wurden: „Wie soll man denn die Aufsicht führen, wenn man keine hinreichenden Informationen bekommt?“ Ruschmeier konterte das mit dem Vorwurf, Vertreter wie die Grünen-Politikerin Petra May hätten die Papiere illegal öffentlich machen und zur „politischen Agitation“ nutzen können.

Ob er sich denn keine Gedanken über eine mögliche Überdimensionierung des Müllofens gemacht habe? Nein, von einer Überdimensionierung will er bis heute nichts wissen: „Die Zukunft wird zeigen, ob die Anlage wirklich zu groß ist.“