: Sehr frischer Rotwein
Die Situation ist ernst wie immer: Die Berliner Off-Theater wie Friends Of Italian Opera oder das Theater unterm Dach müssen mit wenig Geld auskommen. Trotzdem gibt es beständig neue Produktionen. Ein Blick hinter den Vorhang der freien Szene
von OLIVER RUF
Berlin ist anstrengend – mindestens 40 Theater warten jeden Abend auf unseren Besuch. Alle paar Wochen macht sogar ein Neues auf, in einer geschlossenen Metzgerei im Prenzlauer Berg oder im Turm von Narva. Seit es sie gibt, ächzt die freie Szene unter der Finanznot – aber das Spielen lässt sie nicht.
Zum Beispiel in der Brotfabrik im Prenzlauer Berg: Die Ausstattung trägt der denkbar knappen Finanzlage Rechnung. Bloß ein Stoffverhang trennt Eingangs- und Zuschauerbereich. Der Mann hinter der Bar ist gleichzeitig der Kartenabreißer. Das Stück auf der Bühne ist ein Erstlingswerk, bei dem der Autor selbst neben zwei Freunden mitwirkt. Christian Fülling, Jens Kauffmann und Nina Kerstin Hoepp haben gemeinsam eine Schauspielschule in den Vereinigten Staaten besucht und führen nun „Extasy und Honig“ auf. Es geht um eine Dreiecksbeziehung, um Betrug, Rache – und um Theatertauglichkeit. „Urteilen Sie nicht zu hart“, bittet der Mann neben mir, bevor er die Rosen zur Premiere überreicht.
„Es gibt immer weniger Möglichkeiten, im Bereich Schauspiel beschäftigt zu werden“, heißt es bei der Zentralen Vermittlungsstelle für Bühne und Film (ZBF), sozusagen dem Arbeitsamt für Schauspielerinnen und Schauspieler. Die Theaterkrise, so erklärt ein Sachbearbeiter, wirke sich eben auch auf die freie Szene aus. Die Zahl derjenigen, die Schauspieler werden wollen, und die freien, bezahlten Stellen ständen obendrein in keinem Verhältnis zueinander. Lassen sich also deswegen viele darauf ein, lieber Low-Budget in Kauf zu nehmen, als gar nicht aufzutreten? Der ZBF-Angestellte, der einmal selbst als Bühnenkünstler in der Datenbank seiner heutigen Dienststelle gelistet war, meint: „Für Schauspieler ist es zwingend notwendig, zu arbeiten. Man verlernt sonst das Handwerk.“
Damit erklärt sich auch das Engagement von Amina Gusner, die mit zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen („Balko“, „Praxis Bülowbogen“, „Wolffs Revier“) auf sich aufmerksam gemacht hat, seit Jahren aber außerdem freie Projekte inszeniert. Im Theater unterm Dach, Danziger Straße 101, hat sie die szenische Montage „Gefallen“ realisiert, aus Zitaten von Rilke, Nietzsche, Hesse, Kafka u. a. (nächste Vorstellungen 8. und 9. März). Mit Amina Gusner spielt Peter René Lüdicke, bekannt von der Berliner Volksbühne oder dem Hamburger Schauspielhaus. Hier kommt eine Bühnenerfahrung zusammen, wie man sie nicht erwartet in einem kommunalen Kulturhaus. Die Leiterin des Theaters unterm Dach, Liesel Dechant, erklärt: „Wir kennen die Leute von früheren Arbeiten, halten Kontakt und verfolgen ihren Werdegang. (…) Viele verdienen ihren Lebensunterhalt anderswo und machen bei uns das, was sie wirklich wollen.“ Trotz der teilweise guten Bedingungen ihres Hauses – es wird ein eigener Techniker zur Verfügung gestellt –, erkennt man gerade an der dortigen Personaldecke den engen Spielraum kleiner Theatereinrichtungen. Liesel Dechant kümmert sich um alles, die künstlerische Planung, die Stückauswahl, die Organisation – und sie betreibt die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. „Seit der Krise in der Medienbranche, wegen der viele Zeitungen ihre Berliner Kulturseiten eingestampft haben, wird es immer schwieriger, in der Presse wahrgenommen zu werden.“ Ihre Besucher aber halten dem Haus die Treue. „Gefallen“ ist oft ausverkauft. Aber selbst ein eingeführtes Profil reicht nicht immer.
Die Bühne der „Friends of Italian Opera“ in der Fidicinstraße in Kreuzberg gilt seit über zehn Jahren als das einzige konstante Forum für englischsprachiges Schauspiel in der Hauptstadt. Als Wallace Shawns „The Fever“ auf dem Programm stand, kamen am dritten Vorstellungstag nur zwei zahlende Gäste. Dennoch wurde gespielt. Darsteller Christopher Henley wetterte gegen Globalisierung und Kapitalismus und monologisierte die Erfahrung von Ungleichheit und Unmenschlichkeit in der Welt. „Wir vertreten die Auffassung: Wenn mehr Zuschauer kommen, als Leute auf der Bühne sind, öffnen wir“, sagt Dorothea Seide. Um das Geld aus Zuweisungen der Stadt und dem Erlös der Produktionen aufzustocken, haben sich die „Friends of Italian Opera“ ein zusätzliches Finanzierungskonzept überlegt. Sie werben Clubmitglieder, die sie langfristig unterstützen. Dabei befinden sich die Friends, die am 6. März mit ihrer nächsten Premiere „Sex, drugs and a restless soul“ der New Yorker Autorin Elizabeth Hess rauskommen, in einer besonderen Situation, da nur Native Speaker als Schauspieler verpflichtet werden. Die Muttersprachler aus dem gesamten Stadtgebiet sind die ersten, die sich über dieses Angebot freuen.
Ungewohnt kühl schmeckt hier übrigens der Rotwein. Das liegt nicht etwa an englischen Trinkgewohnheiten, sondern an den knappen Ressourcen. Kasse und Getränkeverkauf finden vor dem Eingang an der frischen Luft statt. Cheerio!