: Frankfurter Flughafen-Dilemma bestätigt
Laut einem unabhängigen TÜV-Gutachten bildet die geplante Landebahn Nordwest am Rhein-Main-Flughafen ein hohes Risiko für das ansässige Chemiewerk der Celanese-Tochter Ticona. Grüne fordern Abriss der Fabrik oder Verzicht auf Landebahn
AUS WIESBADEN KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Die Chemiefabrik Ticona steht dem Bau einer neuen Landebahn Nordwest am Rhein-Main-Flughafen im Weg. Diesen Schluss legt ein von allen Beteiligten mit Hochspannung erwartetes Obergutachten des TÜV Pfalz nahe, das sich auch mit einem bereits vorliegenden Gutachten des TÜV NRW zum Thema beschäftigte.
In der neuen Studie heißt es, rein rechnerisch könne es einmal in 10.000 Jahren zum Absturz einer Maschine über der Chemiefabrik bei Kelsterbach kommen. Und der hätte verheerende Folgen nicht nur für die dort Beschäftigten: In der direkten Nachbarschaft befindet sich die Autobahn A 3 und die Schnellbahntrasse für den ICE. In einem früheren von der Flughafenbetreiberin Fraport AG in Auftrag gegebenen Gutachten war noch von einem Absturz in 100.000 Jahren die Rede gewesen, das Risiko also zehnfach geringer eingeschätzt worden.
Für die Grünen stand deshalb schon vor der Anhörung aller Gutachter gestern im Wirtschaftsausschuss des hessischen Landtags fest, „dass der Betrieb des Chemiewerkes Ticona bei einem Bau der Landebahn Nordwest nicht weitergeführt werden kann“ – respektive die Landebahn dort nicht gebaut werden dürfe. Die CDU im hessischen Landtag nannte diese Forderung „vorschnell und unüberlegt“.
Einen möglichen Ausweg aus der Misere wies ein Gutachter der Universität Braunschweig: Das wuchtige Kraftwerk der Ticona genau in der Anflugschneise müsse zwar in jedem Fall „verlegt“ werden. Doch andere feste Hindernisse könnten in „fragile“ umgewandelt werden, sodass Flugzeuge bei einer eventuellen Kollision etwa mit einem Schornstein ihren Anflug auf die Landebahn direkt hinter dem Chemiewerk weitgehend unbeschädigt fortsetzen könnten.
Fest stand für den Luftfahrtexperten allerdings auch: „Ohne erhebliche Eingriffe in die bauliche Substanz der Chemieanlage ist die Landebahn Nordwest nicht genehmigungsfähig.“ Und auch nach „Vollzug“ sei die Rollbahn nur für Flugzeuge geeignet, die über ein Instrumentarium für Präzisionsanflüge verfügten, weil der hindernisfreie Korridor für den Landeanflug auch dann noch eng genug sei.
Der Gutachter wies auch auf ein im abgeschlossenen Raumordnungsverfahren nicht zur Sprache gekommenes weiteres Risiko hin: Ein Störfall bei der Ticona könnte wiederum den Flugverkehr gefährden.
Fast zeitgleich mit dem Expertenhearing im Landtag begann in einer Fabrikhalle im Industriegebiet von Mörfelden-Walldorf der Erörterungstermin zum Bau einer riesigen Wartungshalle (2,2 Millionen Kubikmeter) der Lufthansa für den Airbus 380 im Süden des Frankfurter Flughafens. Mehr als 40.000 Einwendungen liegen vor. Die Bürgerinnen und Bürger aus den umliegenden Städten und Gemeinden befürchten nach dem Bau der Startbahn West in den frühen 80er-Jahren jetzt den endgültigen Verlust ihrer „grünen Lunge“ in der Region und eine Zunahme der Lärmbelästigung. Sie argumentieren, dass die Wartungshalle auch anderswo gebaut werden könne – wenn der Landebahnbau im Nordwesten wegen der Ticona vielleicht doch noch abgeblasen werden müsse.
Rund 1.000 Flughafenausbaugegner, die persönlich an der Erörterung teilnehmen wollten, mussten sich rigiden Einlasskontrollen unterziehen. Gegen Mittag kam es dann zum Eklat. Das Regierungspräsidium brach die Veranstaltung wegen angeblicher „Tumulte im Publikum“ ab. „Sprechchöre“ der Ausbaugegner, so hieß es, hätten eine Fortsetzung der Erörterung im Landkreis Groß-Gerau zunächst verhindert.
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