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Archiv-Artikel

Wie ich einmal Jürgen Peters war

Wie funktioniert eigentlich eine Tarifrunde? Nichts leichter als das. Und wie ist es eigentlich, Vorsitzender der IG Metall zu sein? Ein Selbstversuch

VON THILO KNOTT

Ich sitze mit dem Rücken zur Fensterwand. Denn dann muss meine Verhandlungskommission nicht in die Sonne blicken. Sollen sich doch die Arbeitgeber blenden lassen! Ich bin auch als Erster am Verhandlungsort. Sollen doch die Herren von Gesamtmetall gefälligst an uns vorbeilaufen und uns die Hände schütteln! Spielchen, okay. Gehören eben auch zu jeder Tarifrunde.

Ich bin nicht Jürgen Peters. Ich will auch nicht Jürgen Peters sein. 59 Jahre alt. Gelernter Maschinenschlosser. Seit 1960 in der IG Metall. Ein Leben lang Gewerkschaftsfunktionär – und seit vergangenem Sommer am Ziel: Vorsitzender der IG Metall. Den VW-Beschäftigungspakt „5.000 mal 5.000“ abgeschlossen. Im letzten Jahr mit dem Arbeitskampf im Osten gescheitert.

Es ist nur so, dass ich Jürgen Peters sein muss. So sind die Spielregeln (siehe untenstehender Kasten). Und die anderen gespielten IG-Metall-Funktionäre, die Betriebsräte, der Verwaltungsstellenchef und der Tarifsekretär haben mich nun mal gewählt. Damit beginnt das Spiel.

1. Vorgeplänkel

Auf dem Verhandlungstisch sind alle Unterlagen zugedeckt. Denn die Kameramänner der Fernsehstationen interessieren sich nur für beschriebene Blätter. Also gibt es nur die Gesichter für die Berichte vom ersten Verhandlungstag. Und mein erstes Fernsehinterview. Ich begründe die 4 Prozent Lohnforderung der IG Metall. Produktivitätswachstum, Inflationsausgleich, Verteilungsspielraum. Das Übliche, was man von den Gewerkschaften schon seit Monaten hört. „Und die ERA-Komponente von 1,39 Prozent?“, fragt der ARD-Reporter, der auch im wirklichen Leben ein Reporter ist. „Die kommt ja noch dazu“, sage ich. Erster Fehler. Wäre Jürgen Peters nicht passiert. Gemeint war, die Prozentzahl für die Angleichung beim Entgelt für Arbeiter und Angestellte ist ja schon Belastung genug innerhalb der 4 Prozent. Aber der Reporter steht schon beim Verhandlungsführer der Arbeitgeber, Herrn Kannegiesser, die eine Kollegin von der Financial Times Deutschland ist und sich grade empört über die neue Lohnforderung von 5,39 Prozent. Guter Anfang!, denke ich, das Missverständnis muss ich ausräumen. „Da habe ich mich wohl falsch ausgedrückt, Frau Kannegiesser!“ Scheiße, zweiter Fehler. Jürgen Peters hätte nie gesagt, er habe sich falsch ausgedrückt. Aber ich bin nicht Jürgen Peters.

2. Abtasten

Erste Runde. Eingangsstatements der Verhandlungsführer. Ich probier es mit der Schulterschlusstaktik. „Ja, wir wollen auch eine Flexibilisierung der Tarifverträge. Aber wir können nicht alles auf den Schultern der Arbeitnehmer in den Betrieben abladen …“ Frau Kannegiesser lässt sich nicht beeindrucken. Nur über eine Anhebung der Arbeitszeit auf bis zu 40 Stunden könnten die Unternehmen Kosten senken und im Wettbewerb, gerade vor dem Hintergrund der Osterweiterung, wieder einen Vorsprung bekommen. Es gehe um Beschäftigungssicherung und Wirtschaftsaufschung.

Ist doch das übliche Gerede seit Monaten, denke ich mir. Beziehungsweise denkt sich Jürgen Peters. Aber: Mein Stichwort ist gefallen. „Wirtschaftsaufschwung?“, sage ich. „Aber wir sind doch Exportweltmeister, was wir brauchen ist die Ankurbelung der Binnennachfrage – und das schaffen wir nur, wenn die Arbeiter so viel wie möglich Geld in der Tasche haben.“

Die Klagen der Unternehmer werden mitgeteilt („Wir brauchen wieder 40 Stunden“), genauso wie die Erwartungen der Arbeiter („In manchen Betrieben wollen sie 6 Prozent mehr Lohn“). Zahlenkolonnen werden hin- und hergeschoben. Die Arbeitgeber erklären ihren Arbeitszeitkorridor zum „Junktim“. Aber das ist mit uns nicht zu machen. Die Verhandlungsrunde wird vertagt.

3. Vertiefen

Bloß keine Zahlen. Wer Zahlen nennt, kann nicht mehr zurück.

4. Erstes Angebot

Nicht mit einem Jürgen Peters, nicht mit mir. „Hören Sie, Frau Kannegiesser, was glauben Sie eigentlich, wen Sie vor sich haben!“ Die Arbeitgeberchefin sagt kühl: „Dieses Angebot entspricht nur der momentanen Wirtschaftslage.“

5. Eskalation

Nur 0,5 mehr in der Tasche. Die ERA-Komponente von 1,39 Prozent auf zwei Jahre gesplittet. Laufzeit: 29 Monate. Dann noch sechs Nullmonate. Nicht mit Jürgen Peters. „Das Angebot ist ein Skandal, eine Frechheit!“, brülle ich, während mein Tarifsekretär rechnet und mit dann einen Zettel mit Monatsstrichen und Zahlen reicht. 1 Prozent für 2004, 0,4 Prozent für 2005, minus 0,4 Prozent für 2006.

„Das ist eine reine Nullrunde!“, schreie ich weiter. „Das Angebot ist ja noch unter dem, was Sie vor der Tarifrunde erzählt haben! Das wirft uns drei Schritte zurück!“ Ich stehe auf, meine Tarifkommission folgt mir. Die Verhandlungen sind vertagt. Dem ARD-Mann sage ich: „Ja, sollen unsere Leute noch Geld mitbringen, damit sie arbeiten dürfen!“ Am nächsten Tag gibt es spontane Warnstreiks, einen Tag vor dem Ende der Friedenspflicht.

6. Annäherung

Ein Streik ist noch nicht zu verantworten. Das weiß ich. Trotz des unverschämten Angebots. Aber wir selbst hatten uns noch nicht allzusehr bewegt. „Das können wir der Öffentlichkeit nicht erklären“, sage ich in unserem Beratungsraum.

Als ich wieder Frau Kannegiesser gegenübersitze, sage ich, es sei ja nicht so, dass wir uns in der Arbeitszeitfrage gar nicht bewegen wollten. „Sie wollen auch einen Arbeitszeitkorridor wie wir?“, fragt Frau Kannegiesser schnippisch nach. „Ich sprach nicht von einem Arbeitszeitkorridor“, entgegne ich, „die Geld-Zeit-Relation muss stimmen.“ Die Arbeitgeberchefin pocht weiter auf ihrer Kostensenkung. Wir unterbrechen die Sitzung und ziehen uns zurück. Ich grüble: So kommen wir nicht weiter.

7. Acht-Augen-Gespräch

Ein Kamerateam folgt uns in die Hotellobby. Klar, wenn die Verhandlungsführer ein geheimes Acht-Augen-Gespräch vereinbaren, könnte Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen kommen. „Hier ist eine Wand, hier können Sie nicht durchfilmen“, sage ich den Journalisten und zeige in die Luft. Auf dem kleinen Tisch vor uns liegen zwei Modelle: Mein ausgereiftes „Pyramiden-Modell“ und ein, wie soll ich das Ding von Frau Kannegiesser bloß nennen? Ich denke mir: Nie war es für die IG Metall so wichtig, einen Vorsitzenden wie mich zu haben. Wir schachern um Langzeitarbeitskonten, Rechte der Tarifparteien, Beschäftigungssicherung. Ich schlage vor: In Krisen von Betrieben mit weniger als 250 Arbeitnehmern sei eine Erhöhung der Arbeitszeit denkbar, mit Lohnausgleich zwischen 68 und 100 Prozent.

„Undenkbar“, schnaubt Frau Kannegiesser. Sie will in allen Betrieben erhöhen, mit einem Lohnausgleich zwischen 20 und 100 Prozent.

„Undenkbar“, sage ich. Wir kehren zurück in die Verhandlungsrunde – und reden erstmal über Löhne. „Machen Sie doch endlich ein Angebot“, fordert die Arbeitgeberseite. Ich zögere.

8. Streik

Ich stehe vor der Frage: „Springen“ und ein Angebot machen oder abblocken und in den Arbeitskampf ziehen? Ich springe. Und unterbreite den Arbeitgebern: Drei Prozent mehr Lohn. Laufzeit 18 Monate. Bei drei Nullmonanten. Plus die gesplittete ERA-Komponente von 0,7 Prozent für 2004 und 0,69 für 2005.

Der Tarif-Experte von Gesamtmetall rechnet, flüstert die Zahlen seiner Chefin ins Ohr.

Frau Kannegiesser: „Das liegt ja fast bei vier Prozent!“

Peters: „Aber nur fast!“

Frau Kannegiesser: „Sie glauben doch nicht, dass wir das als Angebot betrachten!“

Peters: „Werte Frau Kannegiesser, angesichts dessen, was Sie unseren Arbeitern in den Betrieben bei der Arbeitszeit zumuten wollen, ist das nur gerecht!“

Frau Kannegiesser: „Das ist mit uns nicht zu machen!“

Mein Tarifsekretär provoziert quer über den Tisch: Der Tarifvertrag zur Arbeitszeit sei ja noch gar nicht gekündigt. „Und bis April haben wir die Urabstimmung hinter uns und befinden uns längst im Arbeitskampf.“

Keine Reaktion. Die Verhandlungen werden vertagt – ohne Ergebnis und neuen Termin.

In der anschließenden Pressekonferenz sage ich noch an die Adresse der Arbeitgeber: „Die Arbeitnehmer in den Betrieben schäumen vor Wut. Wir sind absolut streikfähig.“

***

Ich muss lachen.

„Frau Kannegiesser, wir sehen uns auf der Straße wieder!“