: Erneuerung ohne Erwachen
In China beginnt heute mit dem 10. Volkskongress der umfassendste Regierungsumbau seit Maos Tod. Der neue KP-Chef Hu Jintao dürfte Staatspräsident werden, Wen Jiabao neuer Premierminister, doch beide vermeiden außenpolitisches Profil
aus Peking GEORG BLUME
Natürlich wird die Kommunistische Partei weiterregieren. Aber für China sind dies die Tage eines Regierungswechsel, so weit ihn das Ein-Parteien-System zulässt. Schon in vierzehn Tagen, wenn der heute in Peking beginnende Volkskongress, Chinas Scheinparlament, seine Beratungen abschließt, wird kaum ein Minister mehr im Amt sein. Präsident und Premier – alle werden vom in diesem Jahr neu zusammengesetzten 10. Volkskongress neu benannt. So ist vom größten politischen Stühlerücken seit Beginn der Reformen Deng Xiaopings 1978 die Rede. Doch politische Aufbruchstimmung kommt nicht auf. Dabei konnte die Regierung in den letzten Tagen für das vierte Quartal 2002 ein Wirtschaftswachstum von über acht Prozent vermelden. Nie ging es der Volksrepublik im Vergleich zum Rest der Welt so gut wie heute. Warum dennoch kein Frühlingserwachen?
„Man muss zuerst lesen, was die neue Führung vorgibt“, bemüht sich Yang Chengxu um eine Antwort. Der Vorsitzende des Nationalen Komitees für die pazifische Wirtschaftszusammenarbeit, ein erfahrener Beamter, ist selbst „neugierig, was die vierte Führungsgeneration an neuem Denken in Politik und Wirtschaft einführen wird“. Yang tut so, als habe er keine Ahnung. So aber ergeht es offenbar vielen. Zu eng sind die bisherigen Wirtschaftsreformen mit dem Namen des abtretenden Premiers Zhu Rongji verknüpft, zu deutlich hat sich die Handschrift des zurücktretenden Präsidenten Jiang Zemin in der Außenpolitik durchgesetzt, als dass mit den designierten Nachfolgern schon neue politische Programme erkennbar würden.
Zwar versuchen der bisherige Vize-Premier Wen Jiabao, der Zhus Nachfolger wird, und Hu Jintao, der als neuer Parteichef auch Staatspräsident wird, sich dem Volk bekannt zu machen. Der eine besuchte jüngst Bergarbeiter im Schacht, der andere bückte sich unters Zeltdach eines mongolischen Hirten. Doch belassen es die beiden bislang bei symbolischen Gesten, die ihre Verbundenheit mit dem kommunistischen Urauftrag sozialer Gerechtigkeit andeuten sollen. Vermutlich wäre es für sie gefährlich, schon mehr Machtanspruch zu entwickeln. Denn auch für sie gilt nach dem 16. Parteitag vom November die Richtlinie, weiterhin „Respekt vor Jiang Zemin“ zu üben. Demnach bleibt Jiang, der zwar sein Präsidentenamt, nicht aber den Vorsitz der Militärkommission aufgibt, die letzte Instanz. In dieser Rolle hat Jiangs Vorgänger Deng immerhin zwei Parteichefs aus dem Amt befördert. Hu und Wen müssen also vorsichtig sein.
Das gilt besonders in der Außenpolitk, Jiangs Steckenpferd, und zumal in der Irakkrise. Auch in China wird derzeit kein anderes Thema so heftig diskutiert wie ein Irakkrieg. Doch gerade zu diesem Thema bewahrt die neue Parteiführung äußerste Zurückhaltung – kein öffentliches Wort des neuen Parteichefs Hu über Irak ist den Chinesen bislang ans Ohr gedrungen.
Wie aber können sich eine neue Regierung und neuer Volkskongress profilieren, wenn das Volk über Krieg und Frieden diskutiert und sie dazu schweigen? Unter dem rot-weißen Banner des „10. Nationalen Volkskongresses“ gab dessen Sprecher Jiang Enzhu darauf gestern die erwartete Antwort: „Der Volkskongress unterstützt ganz und gar die Irakpolitik der Regierung.“ Danach befragt, wie die neu ernannten Delegierten des Volkskongresses die Irakpolitik unterstützen könnten, noch bevor sie heute das erste Mal zusammentreten, stutzte Jiang. „Ich spreche hier vom 9. Volkskongress“, wich der Sprecher ein zweites Mal aus.
Die Unfähigkeit von Partei und Regierung, die Irakfrage vor der Öffentlichkeit zu diskutieren, zeigt die Grenzen des in dieser personellen Umbauphase nach außen überraschend stabil erscheinenden Systems. Sicher hat die Regierung viele Gründe, sich in der Irakfrage still zu verhalten. Vor allem aber will sie antiamerikanische Proteste vermeiden, die ihren seit dem 11. September neu gewonnenen außenpolitischen Spielraum erneut einschränken. Was wiederum zeigt, wie sehr einzig und allein das Wirtschaftswachstum und die erfolgreichen ökonomischen Reformen der letzten Jahre für den Rückhalt des Regimes in der Bevölkerung sorgen.