: Eine Spur des Terrors durch Europa
Heute beginnt in Berlin der Prozess gegen Johannes Weinrich. Im Auftrag von Geheimdiensten soll er als rechte Hand des Terroristen „Carlos“ Auftragsmorde durchgeführt haben: etwa für Rumänien 1981 in München und für Syrien 1982 in Paris
aus Berlin WOLFGANG GAST
Über den Englischen Garten in München hat sich in der Nacht zu Sonntag eine dünne Schneedecke gelegt. Es ist alles friedlich, als um 21 Uhr am 21. Februar 1981 der Wachdienst um das Gebäude der US-Radiosender Free Europe und Radio Liberty an der Öttingenstraße 67 patrouilliert. Um 21 Uhr 47 detonieren an der Ostseite des Rundfunkgebäudes etwa 15 Kilo Sprengstoff. Die Außenwand wird 18 Meter weit aufgerissen, Betonpfeiler knicken ein, in der Umgebung bersten Fensterscheiben. Acht Mitarbeiter des Senders werden zum Teil schwer verletzt, der Sachschaden beträgt rund vier Millionen Mark.
Neun Jahre tappen die Ermittler im Dunkeln. Erst als sich nach dem Ende des Kalten Kriegs die östlichen Geheimdienstarchive öffnen, kommen die Terroristen Illich Ramirez Sanchez, genannt „Carlos“, und seine rechte Hand Johannes Weinrich ins Visier der Staatsanwälte. Weitere 13 Jahre dauert es, bis mit Johannes Weinrich der mutmaßliche Organisator des Anschlages vor Gericht gestellt wird. Heute beginnt vor dem Kriminalgericht Moabit in Berlin der Prozess.
Nach Auffassung von Oberstaatsanwalt Detlef Mehlis ist Weinrich für den Tod von mindestens sechs Menschen und für das Leid weit über hundert Verletzter verantwortlich. Den Auftrag für den Anschlag auf die Münchner US-Sender, so viel weiß man heute aus Unterlagen der früheren Ostgeheimdienste und den Aussagen einiger früherer Mitarbeiter, hat der damalige rumänische Geheimdienst Securitate gegeben. Ziel, so die Staatsanwaltschaft in der 116-seitigen Anklageschrift, sei der damalige Leiter der Rumänienabteilung des Senders, Emil Georgescu, gewesen. Der im Exil lebende Dissident sollte ermordet werden.
Der heute 55-Jährige Weinrich, der Mitte Januar 2000 bereits wegen eines Sprengstoffanschlages auf das Maison de France in Berlin zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde, zog der Anklage zufolge eine Spur des Terrors durch Europa. Gemeinsam mit „Carlos“ soll er nach der Verhaftung zweier Gruppenmitglieder (darunter war „Carlos’ “ Geliebte Magdalena Kopp) einen Privatkrieg gegen die französische Regierung geführt haben, um die beiden freizupressen. Hierbei soll Weinrich (Deckname „Steve“) am Silvesterabend 1983 im Hauptbahnhof von Marseille und in einem TGV-Hochgeschwindigkeitszug zwei Sprengstoffanschläge verübt haben. Fünf Menschen starben damals insgesamt, viele wurden verletzt.
„Carlos’ “ Terrorverband mit dem Namen „Organisation internationaler Revolutionäre“ beging weitere Auftragsmorde. Weinrich wird auch für die Explosion einer Autobombe am 22. April 1982 vor dem Verlagsgebäude der Zeitschrift Watan al-Arabi in Paris verantwortlich gemacht. Im Auftrag des syrischen Geheimdienstes sollte der Herausgeber getötet werden. Eine 30-jährige Schwangere starb, 59 weitere Menschen wurden verletzt.
Auch der im April 1983 in Athen verübte Anschlag auf den saudi-arabischen Botschafter in Griechenland, bei dem ein unbeteiligter Zeuge verletzt wurde, wird „Steve“ angelastet gelegt. Auftraggeber sollen in diesem Fall libysche Geheimdienste gewesen sein. Der Botschafter blieb unverletzt.
Bei einem Angriff auf eine Boeing 707 der israelischen Fluggesellschaft El Al auf dem Flughafen Paris-Orly am 13. Januar 1975 wurde das abflugbereite Flugzeug zweimal mit Raketen beschossen, aber knapp verfehlt. Die Anklageschrift hält Weinrich für verantwortlich.
Der Prozess gegen den „dienstältesten deutschen Terroristen aller Zeiten“ (so das Bundeskriminalamt) könnte einige Überraschungen mit sich bringen. Im Hochsicherheitssaal des Kriminalgerichtes dürfte erörtert werden, ob der am 29. März 1982 im TGV-Schnellzug deponierte Sprengsatz tatsächlich dem damaligen französischen Premierminister und heutigen Staatspräsidenten Jaques Chirac galt. So geht es aus Aufzeichnungen hervor, die der ungarische Geheimdienst in Weinrichs Budapester Hotelzimmer heimlich sichergestellt hatte. Chirac trat seinerzeit aber die für ihn gebuchte Fahrt nicht an.
Zur Sprache kommen dürften auch die internationalen Verbindungen der Terrororganisation zu den diversen Geheimdiensten des Ostblocks und arabischer Staaten und zu anderen terroristischen Gruppierungen. So sollen zwei Mitglieder der baskischen Untergrundorganisation ETA an den Vorbereitungen des Münchner Anschlages beteiligt gewesen sein. Als Zeugin geladen ist auch die frühere Freundin Weinrichs spätere „Carlos“-Geliebte Magdalena Kopp, die der Anklage zufolge „Angaben zu den Taten der Bande an sich“ und zu Verhaltensweisen von „Carlos“ und Weinrich gemacht hat. Im ersten Verfahren gegen Weinrich durfte „Lily“ vor Gericht noch schweigen. Das Entgegenkommen der Staatsanwälte für ihre früheren Aussagen scheint jetzt aufgebraucht.