Ulla stibitzt Taschengeld

Ein Dortmunder will die Bundesgesundheitsministerin verklagen. Seine pflegebedürftige Mutter im Altenheim könne sich nach der Gesundheitsreform alltägliche Dinge nicht mehr leisten

VON ANNIKA JOERES

Bernd Harnacke aus Dortmund kämpft gegen Ulla Schmidt in Berlin. „Schmidt betreibt unterlassene Hilfeleistung“, sagt Harnacke. Nach ihrer Gesundheitsreform könnten sich seine Mutter und zahreiche andere AltenheimbewohnerInnen einfache Dinge wie Kosmetikartikel oder eine Zeitung kaum noch leisten. „Sie muss jetzt von ihrem mageren Taschengeld ihre Medikamente bezahlen.“

Seit dem ersten Januar zahlen PatientInnen für jeden Arztbesuch 10 Euro und außerdem noch zwei Prozent ihrer Medikamente. Zusätzlich werden einige Arzneimittel gar nicht mehr von den Krankenkassen übernommen. Harnackes Mutter zum Beispiel muss jetzt ihre Kalziumtabletten gegen ihre Osteoporose selbst bezahlen, auch die Aspirin zur Stärkung ihres Herzens übernimmt ihre Kasse nicht mehr. Dabei erhalten die HeimbewohnerInnen, die auf die Sozialhilfe angewiesen sind, nur 90 Euro Taschengeld im Monat. Nach zwei Arztbesuchen, ihrer Monatsration Medikamente und den Kalzium- und Aspirinrechnungen ist von dem mageren Betrag nicht mehr viel übrig.

„Unsere Bewohner sind stark verunsichert und haben Angst“, sagt Martin Kaiser, Geschäftsführer der Städtischen Kliniken in Dortmund. Von seinen etwa 1.000 PatientInnen leben zwei Drittel von der Sozialhilfe und ihren 90 Euro Taschengeld. Knapp 900 von ihnen haben nach Informationen der Kliniken schon mindestens 10 Euro bei einem Arztbesuch zahlen müssen. Seit dem ersten Januar blieben oft nur noch 20 bis 30 Euro übrig, sagt Kaiser. „Die SeniorInnen treffen die Gebühren unglaublich hart“. Die Gesundheitsreform habe für sie Konsequenzen wie für keine andere Bevölkerungsgruppe: „Stellen sie sich einmal vor, Frau Schmidt hätte ihnen zwei Drittel ihres Gehaltes weggenommen.“ Für Kaiser liegt das Problem in einem zu jungen Bundestag: Nur Innenminister Schily sei über siebzig, und selbst der fühle sich wie fünfzig.„Die Alten haben keine Lobby.“

Auch die MitarbeiterInnen der Altenheime leiden unter Schmidts Ideen. Sie müssen für ihre oft vergesslichen und verwirrten PatientInnen die Quittungen aufbewahren und schon Tage vor dem Arztbesuch die fälligen 10 Euro überweisen. „Wir habe einen enormen zusätzlichen Aufwand“, sagt Dagmar Kastedde, Leiterin des Seniorenzentrums Tiefenbach in Dortmund. So bliebe weniger Zeit für Gespräche mit den BewohnerInnen. Und diese könnten sich nun ihre kleinen Freuden im Alltag nicht mehr gönnen. „Der Frisörbesuch, die Fußpflege, Zeitschriften, Kosmetik, Zigaretten, unsere beliebten Candle-Light-Dinner – das wird dann alles zu teuer“, sagt Kastedde.

BewohnerInnen und Belegschaft der Heime können außer auf Harnacke jetzt noch auf Ulla Schmidts späte Einsicht hoffen – zum ersten April entscheidet sich endgültig, welche Arzneimittel die Kasse zahlt.