: Heringsschwärme am Himmel
Wenn das Polarlicht über den Winterhimmel der Lofoten wabert, ist der Maler Christian-Ivar Hammerbeck glücklich. Menschen sucht man auf seinen Bildern aber vergeblich, dafür ist die Natur nördlich des Polarkreises viel zu eindrucksvoll
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Christian-Ivar Hammerbeck stellt vom 2.–30. 11. im Kunsthaus Müllers in Rendsburg seine Gemälde aus. hammerbeck.kulturserver.de www.kunsthaus-muellers.de
Buchtipp: Christian-Ivar Hammerbeck/Manfred Vollmer, Atelier Hurtigruten, Klartext-Verlagsgesellschaft, 29,95 Euro.
VON RASSO KNOLLER
Der Himmel über Svolvaer glüht rot, grün und blau. Christian-Ivar Hammerbeck steht in seinen dicken Parka gehüllt am Hafenbecken und genießt das Farbenspiel: „Wahnsinn – so schön wie heute war es schon lange nicht mehr“, schwärmt er über das Polarlicht, das über den nordischen Winterhimmel wabert.
Dieses Naturschauspiel hat Hammerbeck schon hunderte Male gesehen. Der gebürtige Hamburger ist Maler und lebt seit mehr als zwanzig Jahren auf der norwegischen Inselgruppe der Lofoten. Das Nordlicht ist für ihn immer wieder eine Quelle der Inspiration – und ein Motiv für seine Malerei. Schon früh hat der ehemalige Waldorfschüler seine Vorliebe für das Malen mit Wasserfarben entdeckt – und die sind das ideale Medium für Nordlichtmaler wie Hammerbeck: Denn wie das Licht am Himmel zerfließt die Farbe auf dem Papier.
Nie gleicht ein Nordlicht dem anderen. Mal begnügt es sich bescheiden mit einer Ecke des Himmels, dann wieder nimmt es fordernd das ganze Firmament ein. In der einen Minute verharrt es ruhig und unbeweglich, nur um sich wenig später wie eine wild flackernde Feuersbrunst über den Himmel auszubreiten.
Wenn die Funken sprühen
In der Zeit zwischen November und März flirren Polarlichter fast täglich über den Himmel. Für Physiker sind sie nur elektrisch geladene Teilchen des Sonnenwindes, für die Norweger des Nordens der Farbtupfer in der langen Winternacht – und für die Finnen ein „Fuchsschweif“ am Firmament. Einer samischen Legende zufolge entsteht das Nordlicht, wenn ein Fuchs mit seinem Schwanz über die Schneewehen peitscht, so dass die Funken – die Nordlichter – sprühen. Weniger poetisch sehen es die Japaner. Sie glauben, das Nordlicht zu beobachten, stärke die Manneskraft – und dass ein unter dem Nordlicht gezeugtes Kind besonders schön und klug wird. Der Tourismusbranche Norwegens kann es recht sein: Im Winter sind im Norden auffällig viele Japaner unterwegs.
Die Lofoten, eine Inselgruppe aus über 80 Inseln, liegen weit im Norden, zwischen 100 und 300 Kilometer nördlich des Polarkreises. Anders als erwartet, ist dort das Klima nicht arktisch kalt, sondern dank des Golfstroms, in dem die Inseln wie in einem warmen Wasserbad liegen, erstaunlich mild. Natürlich fällt auch hier das Thermometer im Winter häufig unter null. Doch Temperaturen von minus zehn oder gar minus zwanzig Grad oder noch mehr, wie sie im Landesinneren Norwegens normal sind, sind selten.
Ausflug am Kaisertag
Trotzdem beginnt auch der nordlanderprobte Maler langsam zu frösteln. Er mümmelt sich noch weiter in seinen Parka ein und stapft los zu seinem Kleinwagen, mit dem er sich auf den Heimweg durch die nordische Nacht macht. Die ist inzwischen wieder in tiefes Dunkel versunken. Denn nicht nur was die Form, sondern auch was die Häufigkeit und die Länge seiner Auftritte betrifft, ist das Nordlicht ein launischer Begleiter.
Hammerbeck wohnt zwei Autostunden von Svolvaer entfernt, der mit 4.000 Einwohnern größten Stadt der Inselgruppe. In seinem Heimatdorf Digermulen stehen nur eine Hand voll Häuser – Farbpunkte zwischen dem Hausberg Digermulkollen und der Nordsee. Der Berg ist nur gut fünfhundert Meter hoch und nimmt sich in der Landschaft der Lofoten bescheiden aus. Doch jedes Jahr im Sommer ist er das Ziel einer Wanderung. Dann feiert ganz Digermulen den „Kaisertag“ und zieht die Hänge hinauf.
Im Jahr 1889 war der deutsche Kaiser Wilhelm II. hier mit seiner Jacht gelandet. Seine Majestät war so begeistert, dass er noch mehrmals auf die Lofoten zurückkehrte und damit gleichsam den deutschen Norwegentourismus erfand. Auf seinen Spuren waren schon bald viele seiner Untertanen unterwegs.
Hammerbeck ist jedes Jahr bei der Besteigung mit dabei, doch jetzt im Winter schaut er sich den Berg lieber von unten an. Das ist auch anzuraten, denn seine verschneiten Gipfel machen trotz der vergleichsweise geringen Höhe keinen einladenden Eindruck.
Schiffe vom Fenster aus
Zu Hause angekommen schält sich Hammerbeck aus seiner Winterkleidung, lässt seinen langen Körper in das Sofa sinken und deutet auf das Panoramafenster seines Wohnzimmers. Die Aussicht, die er von hier genießt, ist grandios.
Jetzt am Abend muss ich seiner schwärmerischen Beschreibung glauben, doch am nächsten Tag sehe ich alles mit eigenen Augen: die dramatische Kette der Austvågøy-Berge – und tief unten am Meer den Eingang zum Raftsund. Wie jeder der 150 Einwohner des Ortes hat der Maler einen unverbaubaren Blick aufs Wasser, den Fjord und die Fischer- und Freizeitboote, die vor der Küste unterwegs sind.
Schiffe sind die zweite Leidenschaft Hammerbecks. Das ist vermutlich nicht ungewöhnlich für einen Hamburger – von den Hanseaten wird ja behauptet, dass sie die Leidenschaft für die Seefahrt schon mit der Muttermilch aufnehmen. Wenn Hammerbeck zu Hause ist, steht er zweimal täglich an seinem Ausguck im Wohnzimmer – dann nämlich, wenn die Postschiffe der Hurtigruten vorbeifahren.
Menschenleere Bilder
Für ihn ist das zum Ritual geworden. Die Schiffe gehören zu seinem normalen Tagesablauf, und auch nachdem sie aus seinem Blickfeld verschwunden sind, begleitet er sie noch eine Weile in Gedanken. Hammerbeck mag Schiffsreisen nicht nur in der Fantasie. Unlängst reiste er als Schiffsmaler auf der „MS Lofoten“ mit. Er hat das Hurtigrutenschiff und die norwegische Landschaft gemalt, die vor dem Kajütenfenster vorbeizog, und er hat beiden sogar einen eigenen Bildband gewidmet.
Menschen sucht man auf Hammerbecks Bildern allerdings vergeblich. „Die grandiose Natur der Lofoten hat mir bewusst gemacht, wie klein wir Menschen sind“, sagt er. Und: „In meinen Bildern sind die Menschen so klein geworden, dass sie gar nicht mehr vorkommen.“
Früher, als es hier oben im Norden noch keine Straßen gab, waren die Hurtigrutenschiffe die einzige Verbindung zur Außenwelt. Sie brachten die neue Waschmaschine ebenso mit wie den Liebesbrief des im fernen Oslo arbeitenden Verlobten. Auch heute sind die Lastpferde des Meeres immer noch ein wichtiges Verbindungsglied zwischen den einzelnen Küstenorten. Sie sind aber inzwischen auch Touristendampfer, die Norwegenbesucher bequem und luxuriös von Bergen im Südwesten bis nach Kirkenes im äußersten Norden bringen. Auch im Winter wenn das Polarlicht lockt.
Heringsblitze in der Nacht
In den Wintermonaten bieten die Lofoten aber noch ein weiteres Spektakel – allerdings ein von Menschen gemachtes: den Lofotfischfang. Auf Hammerbecks Bildern kommt er nicht vor – anders bei seinen norwegischen Malerkollegen. Für die ist der Lofotfischfang seit jeher ein beliebtes Motiv. Jedes Kunstmuseum auf der Insel, sogar in ganz Norwegen, stellt Bilder zu diesem Thema aus.
Im 19. und noch weit bis ins 20. Jahrhundert kamen zehntausende Fischer zur Fangsaison auf die Lofoten. Ihre Boote lagen dann in dichten Reihen in den Häfen, und die heute bei den Touristen als Ferienhütten beliebten und zumeist auf Stelzen gebauten Rorbuer waren nichts anderes als die Schlafhütten der Fischer. Aber auch heute kommen Jahr für Jahr im Winter bis zu 3.000 Fischer aus dem ganzen Land auf die Inselgruppe, um vor der Küste den Dorsch zu fangen.
In dieser Zeit kann man von vielen Häusern aus das Meer vor lauter Fischen nicht mehr sehen. Denn sobald der Dorsch gefangen ist, wird er an riesigen, zeltförmigen Holzgestellen zum Trocknen aufgehängt. Hunderttausende Fische werden so in der trockenen und salzigen Meeresluft zu Stockfisch und versperren den Einheimischen die Sicht. Sie füllen ihnen aber gleichzeitig die Geldbörsen. Denn besonders in den Ländern Südeuropas ist der norwegische Stockfisch eine beliebte und äußerst gut bezahlte Delikatesse.
Der Fischfang war für Nordnorwegen einst die einzige Einnahmequelle – und ist bis heute eine der wichtigsten. Darum nennt man hier das Nordlicht auch Heringsblitz. Früher glaubten die Fischer, dass das wundersame Licht am nächtlichen Himmel nichts anderes ist als die Spiegelung riesiger Fischschwärme am Firmament.