Gewerkschaftsboss im Zweifrontenkrieg

Manfred Schell, Vorsitzender der Lokführergewerkschaft GdL, kämpft gegen Bahn und Transnet gleichzeitig

Er gilt als der Kleine, der es dem großen Bruder einmal so richtig zeigen will: Manfred Schell, Vorsitzender der Lokführergewerkschaft GdL, ficht derzeit verbissen und ziemlich allein seinen Konflikt um Bahngehälter aus. Genauer gesagt: seine beiden Konflikte. Den offiziellen mit der Deutschen Bahn um einen Spartentarifvertrag für Lokführer. Und den inoffiziellen, eigentlichen Konflikt: Hier geht es um eine Rivalität zwischen zwei Gewerkschaftsführern, zwischen Manfred Schell und Norbert Hansen, der Chef der großen Eisenbahnergewerkschaft Transnet ist.

Schell vertritt unter den Bahnangestellten nur das fahrende Personal und nur 35.000 Leute, in erster Linie Lokführer. Hansen streitet im Namen von 295.000 Eisenbahnern. Schell war früher CDU-Abgeordneter im Bundestag, Hansen steht eher der SPD nahe. Der eine gilt in der Verkehrsszene als „anarchistisch“ und „ziemlich impulsiv“. Der andere ist bekannt als kühler Taktierer, als „typischer Gewerkschafter“. So viel zu den Dissonanzen, die den Streit mit der Bahn im Hintergrund begleiten. Im Vordergrund stehen die beiden unterschiedlichen Positionen von GdL und Transnet, Letztere wird von der Gewerkschaft der Bahnbeamten (GdBA) unterstützt. Transnet und GdBA fordern eine Lohnerhöhung von 5 Prozent sowie eine Angleichung der Löhne in Ostdeutschland für das gesamte Bahnpersonal. Die GdL fordert nur 3 Prozent Erhöhung und – darauf kommt es ihr vor allem an – einen Tarifvertrag nur für die Lokführer und Zugbegleiter. Denn, so Schell: „Dadurch wollen wir den besonderen Belastungen dieser beiden Berufsgruppen Rechnung tragen.“ Hansen hingegen sieht andere Berufe benachteiligt, etwa Rangierer und Facharbeiter.

Es ist noch nicht lange her, da verhandelten die drei Gewerkschaften gemeinsam mit der Bahn. Doch vergangenen Herbst kam es wegen eines Tarifvertrags für den Nahverkehr zum Bruch: Transnet ließ sich von Bahn-Chef Hartmut Mehdorns Klagen überzeugen, nur über niedrigere Lohnkosten hätte die Bahn Chancen gegen ihre Wettbewerber. Für die GdL war das eine Art Verrat. „Transnet ist immer noch die Hausgewerkschaft der Deutschen Bahn“, lästert die eine Seite. „GdL steht für gedankenlos, dumm, leichtfertig“, empört sich Hansen auf der anderen Seite.

Gestern war Schell, von dessen Existenz – ganz im Gegensatz zum mediengewohnten Hansen – die Öffentlichkeit bis dato nichts mitbekommen hatte, nicht ans Telefon zu kriegen: „Herr Schell gibt ein Interview nach dem anderen“, hieß es in der Pressestelle. Für einen, der gerade 60 geworden ist, vielleicht die Krönung einer Karriere, die lange Zeit recht unspektakulär verlaufen ist. Mit vierzehn ließ sich der gebürtige Aachener zum Maschinenschlosser ausbilden, ein Jahr später wechselte er zur Bundesbahn. Dort brachte er es über den Reservelokomotivführer-Anwärter zum Lokomotivführer. 1973 trat er in die Eisenbahnergewerkschaft ein.

Schell mag unbekannter sein und auf politischer Ebene weniger Gehör finden als Hansen – in einem aber hat er mehr Macht: Streikt die bei Transnet organisierte Fahrkartenverkäuferin, bilden sich im Bahnhof lange Schlangen. Streiken jedoch die Lokführer, sind in null Komma nix ganze Bahnstrecken lahm gelegt. KATHARINA KOUFEN