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Archiv-Artikel

Flickwerk statt Reformen als Programm

Österreichs Bundeskanzler gibt Regierungserklärung ab. Bei der Ausländerpolitik ist FPÖ-Einfluss deutlich sichtbar

WIEN taz ■ Keine begeisterten Ovationen aus den eigenen Reihen und sarkastische Kommentare von den Bänken der Opposition begleiteten gestern die zweite Regierungserklärung des österreichischen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel vor dem Nationalrat. Anders als beim Antritt des Kabinetts Schüssel I 2000 herrschte im Hohen Haus Langeweile statt Emotionen. Grünen-Chef Alexander Van der Bellen verglich die Neuauflage der ÖVP-FPÖ-Regierung mit einem havarierten Schiff, das notdürftig zusammengeflickt wurde.

In Schüssels Rede war viel von großen Reformen die Rede, und einmal mehr bewies der Kanzler sein Talent, für schmerzhafte Maßnahmen schöne Namen zu kreieren, etwa Pensionssicherungsreform für die mittelfristige Kürzung der Rentenzahlungen. Die Einhebung neuer Gebühren für Arztbesuche wird auf die Krankenkassen abgewälzt, die Schaffung von Kindergartenplätzen auf die Bundesländer.

Die Bezahlung der Abfangjäger wird der nächsten Regierung aufgebürdet. Vom Schlager der ersten Wenderegierung, dem ausgeglichenen Etat, alias Nulldefizit, verabschiedet man sich. Eine Steuerreform ab 2004 soll die Abgabenquote von 44,6 Prozent bis 2006 auf 43 und bis 2010 auf 40 Prozent absenken. Jahreseinkommen unter 14.500 Euro werden nicht mehr besteuert.

Wie die SPÖ hält auch der Wirtschaftsforscher Bernhard Felderer vom Institut für Höhere Studien die Steuerreformpläne für zu zaghaft. Er fordert eine Entlastung von acht statt drei Milliarden Euro und einen Höchstsatz von 25 Prozent auf Löhne und Gehälter. Von einer „aktiven Europapolitik“ sprach Schüssel in Zusammenhang mit dem Ausbau grenzübergreifender Polizeinetzwerke. Sonst spielt Außenpolitik eine untergeordnete Rolle. Das Koalitionsübereinkommen widmet die ersten beiden Absätze dieses Kapitels der Wahrnehmung der österreichischen „Schutzfunktion für die deutschsprachige und ladinische Volksgruppe in Südtirol“ und der Förderung der „Anliegen und Interessen altösterreichischer Minderheiten im Ausland“.

Für Alexander Van der Bellen beweist das Papier, „dass Österreich sich jetzt auch offiziell jeder künftigen Außenpolitik enthält.“ Die Handschrift der FPÖ erkennt er in erster Linie bei der Fremdenpolitik: Keine Aufhebung der Quote für Familienzusammenführungen, keine Synchronisierung von Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitsbewilligung. Die Wahrung der Bürger- und Menschenrechte spiele keine Rolle. Von der ÖVP zeigte sich der Grünen-Chef enttäuscht: „Ist das die Politik der Mitte, diese Art von Beliebigkeit, die ich nicht nachvollziehen kann?“

Wolfgang Schüssel ist inzwischen auch der Lieblingsfeind von Jörg Haider, der sich bei seiner traditionellen Aschermittwochsrede auf den Kanzler einschoss. Die ÖVP, die seiner Partei zwei Drittel der Wähler ausgespannt hat, habe ihren Erfolg „mit falschen und gezinkten Argumenten“ errungen, „und das muss korrigiert werden“. Schüssel bescheinigte er zwar ein „hohes Maß an Intelligenz“, doch setze er dieses vor allem ein, „um seine politischen Gegner zu vernichten“. RALF LEONHARD