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Der Tod kam mit dem Sex

Wo heute die Staatsoper ihren Neubau errichtet, starb ganz in der Nähe vor 91 Jahren der dänische König Frederik der VIII. – in Hamburgs feudalstem Bordell. Nicht einmal eine Gedenktafel erinnert an sein Ableben

von BERNHARD RÖHL

Zwischen Kalkhof, Großer Theaterstraße und Colonnaden entsteht zur Zeit ein neues Betriebsgebäude der Hamburgischen Staatsoper. Der 8000 Quadratmeter große Neubau, der die Arbeitsbedingungen in Werkstätten und Probenbetrieb deutlich verbessern soll, wächst auf historischem Grund. Denn am Kalkhof, wo heute ein trostloser Parkplatz mit Ladezone und den Notausgängen für die Kinobesucher des UFA-Palastes am Gänsemarkt ist, befand sich einst das feudalste Bordell der Hansestadt.

Heute Notausgang, gestern Bordell

1829 war der Kalkhof als „Schwiegerstraße“ entstanden – benannt nach dem Vorbesitzer des Geländes. Die kleine Straße zwischen Gänsemarkt und der Kleinen Theaterstraße – die Heinrich Zille 1895 zeichnete – erhielt erst 1922 den Namen „Kalkhof“, der an den städtischen Kalkhof erinnerte, der von 1616 bis 1826 Lageplatz für den Kalk aus Segeberg war.

Die Freier konnten die Frauen entweder über den Gänsemarkt oder – diskreter – von der Kleinen Theaterstraße aus erreichen. Das Bordell verbarg sich hinter einer Wandverkleidung. Vor den zwei Eingängen stellten zwei Schilder klar: „Für Jugendliche Eintritt verboten“. Der Philologe und Schriftsteller Walter Jens war als junger Mann übrigens damit betraut, die Damen im Kalkhof für den „Luftschutz“ auszubilden, wie er sich schmunzelnd erinnert. Ob er in jenen Kriegstagen im Gegenzug auch im Bordell etwas gelernt hat, man weiß es nicht. Wie nötig die Ausbildung der Prostituierten war, zeigte sich 1943: Die schweren Luftangriffe von Ende Juli bis Anfang August zerstörten die kleine Straße. Die Gebäude wurden nicht wieder aufgebaut.

Sex in der Schwiegerstraße

Prominente Besucher aus dem In- und Ausland kamen für den Sex in die Schwiegerstraße. Vom Schauspieler Emil Jannings wird beispielsweise berichtet, er träume vom schnellen Abenteuer mit einer schönen Dame, um dann mit ihr gemeinsam zu einer Veranstaltung zu gehen. „Für das Gemütliche haben wir ja den Puff“, sagte er. An was Schnelles dachte wohl auch der fast 70-Jährige, der sich unter dem Namen Graf Kronsborg am 13. Mai 1912 im vornehmen Hotel Hamburger Hof am Jungfernstieg einmietete – begleitet von seiner Gattin, zwei Töchtern, einem Sohn und weiteren Mitreisenden. Am folgenden Tag verließ der Graf die Abendtafel und spazierte allein gegen 22 Uhr zum Gänsemarkt – um dann in die Schwiegerstraße abzubiegen.

Schwächeanfall nach „Grafen“-Verkehr

Doch der Sex muss ihn schwer mitgenommen haben. Wahrscheinlich setzten die Frauen ihn nach einem Schwächeanfall vor die Tür. Jedenfalls wollte er sich gerade auf die Stufen der Schlachterei Burk neben dem Café Opera auf dem Gänsemarkt setzen, als der Frauenarzt Dr. Seligmann vorbeikam. Der Arzt, der gerade das Stadttheater besucht hatte, fragte den leidend aussehenden Mann nach Namen und Adresse. „Ich wohne im Hamburger Hof“, sagte der erschöpfte Freier. Ob er ihn im Wagen dorthin bringen sollte, fragte der Arzt. Doch der Mann wollte lieber zu Fuß gehen. „Ich fühle mich schon besser“, sagte er und ging ein paar Schritte in die Richtung seines Hotels. Doch nach einigen Schritten brach er zusammen. Dr. Seligmann erinnert sich: „Als ich ihn wieder aufrichten wollte, bemerkte ich, dass er schon ganz pulslos war. Dem ersten Schlaganfall war offenbar sehr rasch ein zweiter gefolgt, der das Ende herbeiführte.“

Wenn aus Grafen Könige werden

Mit Hilfe eines vorbeikommenden Polizeibeamten hob der Arzt den Bewusstlosen in ein Automobil, „und ordnete die Überführung in ein Krankenhaus an“. Auf der Fahrt starb der Mann. Als die Polizei versuchte, die Identität des Toten zu ermitteln, stellte sie fest, dass „Graf Kronsberg“ nur ein Pseudonym war.

Tatsächlich hieß der Verstorbene Frederik der VIII. und regierte seit sechs Jahren das Königreich Dänemark. Seit 43 Jahren war der Monarch mit Prinzessin Louisa von Schweden und Norwegen verheiratet, mit der er acht Kinder hatte. Eines von ihnen regierte als König Haakon seit 1905 Norwegen. Er ist übrigens der Urgroßvater des jetzigen Kronprinzen Haakon. Doch zurück zu Frederik dem VIII.: Der sah in der Schwiegerstraße wohl die Chance, sich von der großen Familie kurz zu erholen. Mit tödlichem Ausgang. Dabei hatte Leibarzt Professor Bloch dem Monarchen noch kurz zuvor eine ausgezeichnete Gesundheit bescheinigt. Die Königin, zwei Prinzessinnen und ein Prinz erfuhren im Hotel von dem plötzlichen Tod des Königs. Die Familie befand sich mitsamt Gefolge auf der Rückreise von Nizza nach Kopenhagen. Hamburg diente als Zwischenstation.

Am Rathaus wurde Halbmast geflaggt, Bürgermeister Burchard besuchte die trauernden Angehörigen im Hamburger Hof. In Extrablättern erschien ein Nachruf auf den König: „Wenn auch ganz und gar militärisch erzogen, war doch sein höchster Wunsch, sich als Mensch unter Menschen zu fühlen und zu bewegen. Er hat nicht nur als König mit Ministern und Würdenträgern aufs liebenswürdigste verkehrt (!), sondern sich auch den Ärmsten, Bedürftigsten und Leidenden mit Wärme angenommen. Von frühauf ist er ein aufrichtiger Freund des Volkes gewesen, das zu ihm aufschaute und sich willig seiner Leitung überließ.“

Keine Gedenktafel für Frederik den VIII.

Das Hamburger Echo – die Zeitung der SPD – bemerkte zum Tode des Monarchen, er sei „in den Sielen gestorben“. Am 16. Mai 1912 brachte ein Sonderzug den toten König nach Travemünde. Dort wurde der Sarg auf die königliche Yacht verladen. Ein Beerdigungsunternehmen aus der Langen Reihe warb lange damit, die Trauerfeierlichkeiten für Frederik den VIII. ausgerichtet zu haben – ebenso wie die von Hans Albers. Bis heute gibt es übrigens keine Gedenktafel für den in Hamburg gestorbenen dänischen König.

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