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Archiv-Artikel

… und erlöse uns von dem Bösen

Das Verlässlichste, was man über Obama sagen kann: Er ist die Katze im Sack.

AUS NEW YORK BETTINA GAUS

Der Kandidat kämpfte gegen Steuererleichterungen für die Reichen. Er setzte sich im Senat für eine verbindliche Reduktion von Treibhausgas-Emissionen ein und bezeichnete die abwehrende Haltung von US-Präsident George W. Bush zum Thema Klimawandel als skandalös. Er suchte nach Wegen, um Einwanderern den Weg zur Staatsbürgerschaft zu ebnen, die illegal ins Land gekommen waren. Er lehnte jede Art der Folter strikt ab, auch dann, wenn sie im Rahmen der Bekämpfung des Terrorismus angewandt wird. Der Name des Kandidaten: John McCain.

Jeder Wahlkampf reduziert differenzierte Positionen auf Parolen, die kurz genug sind für Autoaufkleber. Außerdem hat die Notwendigkeit, möglichst breite Bündnisse zu schmieden, schon viele Spitzenkandidaten zu erstaunlichen Kurswechseln veranlasst. Das wird dann oft als „Realpolitik“ bezeichnet, nicht nur in den USA. (Erinnert sich jemand, wofür die Grünen vor 1998 einmal standen?)

McCain beherrscht die Kunst des „flip-flopping“, wie sie in den Vereinigten Staaten genannt wird, besonders gut. Schließlich buhlt er sowohl um die Unterstützung christlicher Fundamentalisten als auch um die Stimmen Wirtschaftsliberaler. An die meisten der oben genannten Positionen lässt sich McCain heute nicht mehr gern erinnern. Kein Wunder, dass er im In- und Ausland an Glaubwürdigkeit verloren hat.

Aber: Warum eigentlich nur er? Auch Barack Obama ist ein Meister des politischen Drahtseilakts. Er fordert die Todesstrafe für besonders abscheuliche Verbrechen. Er verteidigt das Recht auf Waffenbesitz von Privatleuten. Er ist aus religiösen Gründen gegen die Legalisierung der Schwulenehe. All das müsse er eben sagen, weil er sonst keine Mehrheit für sich gewinnen könne, erklären seine linksliberalen Anhänger. Eigentlich meine er das gar nicht so. Damit verlassen wir die Ebene der rationalen Argumentation und kommen in den Bereich von Glauben und Vertrauen.

In diesem Bereich gibt es eine seltsame Übereinstimmung zwischen der äußersten US-Rechten und den Evangelikalen einerseits und der europäischen Linken andererseits. Diese Übereinstimmung drückt sich in der Annahme aus, dass Obama allein wegen seiner Herkunft und Biografie tolerant und offen gegenüber anderen Kulturen sei; ja, dass er sogar bereit sein müsse, einen anderen Standpunkt als den US-amerikanischen für grundsätzlich gleichberechtigt zu halten.

Die Überzeugung, dass eine solche Biografie unausweichlich bestimmte Standpunkte erzeugt, teilen Leute, die sonst wenig teilen – am rechten und am linken Rand. Die breite Mehrheit der Bevölkerung in den USA sieht das offenbar anders. Sonst hätte Obama keinerlei Chancen auf einen Wahlsieg. Angenommen, Barack Obama wäre weiß: Wie groß wäre dann die weltweite Sehnsucht nach seinem Wahlsieg?

Wenn die Hautfarbe eines Kandidaten der wesentliche Grund dafür ist, dass man seinen Sieg wünscht oder fürchtet, dann ist das Rassismus – auch wenn der Kandidat schwarz ist. So, wie die Unterstellung sexistisch war, dass sich jede Frau über die Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin freuen sollte. Das festzustellen, bedeutet nicht, die Macht der Bilder zu unterschätzen. Wenn ein Schwarzer (oder eine Frau) eine mächtige Position innehat, zeigt das Wirkung im Hinblick auf die politische Kultur. Aber als Argument für oder gegen einen Kandidaten ist das etwas dürftig, wie die Erinnerung an Margaret Thatcher oder an etliche afrikanische Diktatoren lehren sollte.

Themenwechsel. Außenpolitik. McCain gilt als kalter Krieger. Aus guten Gründen. Im Konflikt zwischen Russland und Georgien über die Region von Südossetien stand er ohne Wenn und Aber auf der Seite von Georgien. Das lässt sich auch anders formulieren: Ja, er sieht durchaus einen fundamentalen Unterschied zwischen dem „Recht“ von Washington, im eigenen Hinterhof für Ruhe zu sorgen, und demselben „Recht“ von Moskau.

Wie beurteilt Obama das? Er bemühte sich zunächst um Differenzierung mit dem Hinweis, dass Georgien mit der militärischen Aggression „angefangen“ habe. Um sodann, nachdem McCain die bedingungslose Unterstützung Georgiens vorgegeben hatte, genau dieser Linie zu folgen. Beide Kandidaten wünschen übrigens, dass sowohl Georgien als auch die Ukraine so bald wie möglich Mitglieder der Nato werden. Selbst wenn Russland sich dagegen sträuben sollte. Hört jemand in Europa zu? Schaut jemand hin? Ach so: Obama meint das vermutlich nicht ernst, meinen seine linksliberalen Fans.

Bleiben wir bei der Außenpolitik. McCain findet es eine gute Idee, einen Raketenabwehrschild gegen Russland aufzubauen. Falls nötig: gerne nur in Polen und Tschechien und notfalls ungeachtet von Einwänden anderer Nato-Partner. Obama sieht das ähnlich, möchte ein solches System aber erst dann etablieren, wenn die Funktionsfähigkeit sichergestellt ist, sich die hohen Kosten also tatsächlich lohnen. Das ist kein grundsätzlicher Einwand, sondern ein logistischer. Oder meint er auch das nicht so?

Wie groß wäre die globale Sehnsucht nach Obamas Sieg, wenn er weiß wäre?

Übrigens hat Barack Obama mehrfach erläutert, dass er den Krieg im Irak vor allem deshalb beenden will, um Kräfte freizusetzen für verstärkte Anstrengungen im Krieg in Afghanistan. In diesem Zusammenhang wünscht er sich größere Unterstützung der europäischen Verbündeten. Er möchte außerdem die – mit den USA verbündete – Nuklearmacht Pakistan angreifen können, weil die pakistanische Regierung machtlos dagegen ist, dass islamistische Kämpfer bestimmte Landesteile als sicheres Rückzugsgebiet nutzen. Meint er etwa wieder nicht das, was er sagt? Auf die Dauer ermüdet dieses Argument ein wenig.

Immerhin: Obama hat auch noch während des Wahlkampfes die Idee des Atomwaffensperrvertrages wiederzubeleben versucht. Sich also bemüht, daran zu erinnern, dass es bei diesem Vertrag einmal um die vollständige Abschaffung von Atomwaffen weltweit ging. Einerseits. Andererseits: Es gibt ernstzunehmende Leitartikler, die meinen, wenn überhaupt jemand in der nächsten Legislaturperiode die Militärausgaben kürzen könne, dann nur McCain. Weil er wisse, wovon die Rede sei, wenn Rüstungsfirmen ihre eigenen Wünsche als Grundbedingung für nationale Sicherheit definierten – und sich gegenüber derlei Begehrlichkeiten zur Wehr setzen könne.

All das heißt: Es gäbe gute Gründe für Europäer, aus eigenen Interessen erbittert und kontrovers für oder gegen den Sieg des einen oder des anderen US-Kandidaten zu streiten. Ist das der Fall? Keineswegs. 85 Prozent der Deutschen sehnen den Wahlsieg eines Mannes herbei, von dem auch die linke Szene begeistert ist. Irgendwo muss da ein Missverständnis bestehen. Es ist nicht so, dass 85 Prozent der Deutschen – und sei es auch nur im Bereich der Außenpolitik – einer Meinung wären.

Um weiteren Missverständnissen vorzubeugen: Die Autorin dieses Textes wünscht sich, dass Barack Obama die Präsidentschaftswahl gewinnt. Sie unterstützt den demokratischen Kandidaten. Vor allem aus zwei Gründen: Seine Pläne, die Krankenversicherung auf eine staatliche, steuergestützte Basis zu stellen, dürfte den sozialen Frieden in den USA befördern. Es liegt im weltweiten Interesse, wenn eine Großmacht nicht durch soziale Kämpfe destabilisiert wird. Und, ja: Obama hat bislang konsequent die Vorstellung vertreten, dass es besser sei, miteinander zu reden – auch ohne Vorbedingungen –, als aufeinander zu schießen. Das gefällt der Bürgerin einer Mittelmacht in Europa.

Schön, schön. Aber reichen derlei Argumente, um einen Kandidaten wie John McCain zu einer Karikatur herabzuwürdigen? Oder zu glauben, Barack Obama sei die Erfüllung aller europäischen Wünsche? Wahrlich nicht. Das Verlässlichste, was man über Obama sagen kann: Er ist die Katze im Sack. Das ist in Ordnung. Das gab es schon öfter. Aber für diese Katze ist die Welt bereit, auf die Straße zu gehen, um zu tanzen oder zu kämpfen? Das ist denn doch übertrieben.