piwik no script img

Archiv-Artikel

Polizeipräsident auf der Anklagebank

Håkan Jaldung muss sich wegen Freiheitsberaubung von Demonstranten beim EU-Gipfel in Göteborg verantworten

STOCKHOLM taz ■ Knapp drei Jahre nach dem EU-Gipfel in Göteborg hat dieser nun auch für die schwedische Polizei ein gerichtliches Nachspiel. Håkan Jaldung, damaliger und mittlerweile vorzeitig pensionierter Polizeipräsident, ist angeklagt, 650 DemonstrantInnen widerrechtlich der Freiheit beraubt zu haben. Von allen damaligen umstrittenen Polizeieinsätzen hat es nur diese eine Aktion bis zu einem Gerichtsverfahren gebracht. Damals wurden TeilnehmerInnen an Alternativveranstaltungen und Protestaktionen, die in einem Gymnasium untergebracht waren, dort noch vor Gipfelbeginn zwanzig Stunden lang aufgrund einer polizeilichen Absperrung festgehalten. Alle anderen Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte – auch im Falle von Schüssen auf DemonstrantInnen – sind mittlerweile ohne juristische Konsequenzen von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden.

Es war der schwedische Justiz-Ombudsmann, der in diesem einen Fall nicht locker ließ und eine Anklage durchsetzte. Der Polizeichef habe nämlich gleich mehrfach das Gesetz gebrochen. Am Morgen des 14. Juni 2001 hatte er befohlen, das Hvitfeldtska-Gymnasium, das von der Stadt Göteborg speziell als Unterkunft für GipfelteilnehmerInnen zur Verfügung gestellt worden war, mit Hilfe einer 800 Meter langen Containermauer hermetisch abzuriegeln – angeblich, um dort eine von der Staatsanwaltschaft genehmigte Hausdurchsuchung vorzunehmen. Nur fand diese nie statt. Hinzu kommt, dass die Absperrmaßnahme weder abgesegnet worden war, noch wäre sie nach schwedischem Polizeirecht zulässig gewesen.

Polizeichef Jaldung verteidigte die Festsetzung von hunderten Menschen ohne einen konkreten Tatverdacht mit einem „allgemeinen Gefahrenbild“. Das hatte allerdings offenbar nichts mit dem EU-Gipfel, sondern mit dem Besuch von US-Präsident Bush in Göteborg zu tun. Die Polizei hatte Hinweise auf geplante Protestaktionen erhalten. Wie Jaldungs Mitarbeiter Aage Johansson vor Gericht begründete, geschah die Einsperraktion, „weil, nun, es war eben so, wir hatten keine andere Lösung für dieses Problem“.

Es waren möglicherweise Forderungen des US-Secret-Service, den US-Präsidenten doch bitte keinen allzu auffälligen Protestaktionen auszusetzen, welche den Polizeichef veranlasst haben könnten, Polizeirecht und Verfassung zu vergessen, mutmaßen Staatsanwaltschaft und Medien. Jaldung, der beleidigt seinen Hut nahm und sich vorzeitig pensionieren ließ, als Anklage gegen ihn erhoben wurde und er auch noch mit einer Gegenanzeige gegen den Justiz-Ombudsmann auf den Bauch gefallen war, will davon nichts wissen. Er wehrt sich damit, jegliche persönliche Verantwortung entweder nach oben auf die Staatsanwaltschaft oder nach unten auf Polizeibeamte abzuschieben, die seinen Anordnungen folgten.

Außerdem klagt Jaldung darüber, als Sündenbock für die Fehler anderer vor dem Kadi stehen zu müssen. In diesem Punkt geben ihm SprecherInnen von Attac und der Göteborgaktion, dem damaligen Zusammenschluss von Protestgruppen, zumindest insoweit teilweise Recht, als tatsächlich die Verantwortung der PolitikerInnen für den gewaltsamen Verlauf rund um den Gipfel bis heute nicht ausreichend unter die Lupe genommen worden sei. Sie begrüßen aber gleichzeitig, dass sich wenigstens der oberste Polizeichef für den Vorfall verantworten muss.

Dieser kann sich bei aller Kritik zumindest über ein großes Lob freuen. Nach dem Bush-Besuch erhielt er eine Einladung nach Washington, um FBI und Secret Service von seinen Erfahrungen für den dort offenbar als vollen Erfolg bewerteten Einsatz in Göteborg zu berichten.

REINHARD WOLFF