: Streit um Seegrenzen in der Adria
Schon seit Jahren können sich Slowenien und Kroatien nicht auf Grenzziehungen einigen. Nach dem Machtwechsel in Zagreb könnte der Konflikt jetzt beigelegt werden. Dabei hofft das künftige EU-Mitglied Slowenien auf eine Unterstützung aus Brüssel
VON ERICH RATHFELDER
Seit der Amtsübernahme der neuen Regierung unter Ivo Sanader Anfang des Jahres hat sich die Atmosphäre zwischen den Regierungen von Kroatien und Slowenien entspannt. Bald wollen die Regierungschefs selbst zusammentreffen, am Freitag vergangener Woche schon sprachen die Außenminister über die seit Jahren schwelenden Grenzstreitigkeiten. Es sollen sogar gemeinsame Kabinettsitzungen abgehalten werden. In der Sache jedoch scheinen die Fronten nach wie vor verhärtet zu sein. Keiner der Kontrahenten will bisher entscheidende Konzessionen machen.
Der Konflikt entstand mit der Auflösung Jugoslawiens und der Gründung der neuen unabhängigen, souveränen Staaten Slowenien und Kroatien. Slowenien besitzt nur einen schmalen Küstenstreifen von etwas mehr als 20 Kilometer in der Bucht von Piran, in der auch die aufblühende Hafenstadt Koper liegt. Diese Bucht liegt jedoch so ungünstig, dass die Seegrenzen der Nachbarländer Kroatien und Italien sich berühren und damit der unmittelbare Zugang Sloweniens zu internationalen Gewässern versperrt ist.
Zwar war während des bis 1995 dauernden Krieges in Kroatien der Konflikt zwischen den damals befreundeten Staaten auf Eis gelegt, doch schon kurz nach dem Friedensschluss in Kroatien kam es zu offenen Streitigkeiten über die Grenzziehungen. Slowenien fühlt sich als Rechtsnachfolger Jugoslawiens in dessen 1968 mit Italien geschlossenem Vertrag über den Kontinentalschelf und beharrt darauf, wie vor der Auflösung Jugoslawiens im Jahre 1991 die Ausbeutung der Bodenschätze dort vornehmen zu können sowie, noch wichtiger, einen freien Zugang zum offenen Meer zu haben. Kroatien dagegen streitet den Status Sloweniens im Vertrag mit Italien ab.
2002 kam es zu einem regelrechten Krieg der Fischer aus beiden Ländern. Weiter verschärft wurde der Konflikt im Sommer 2003, als Kroatien eine Fischfang- und Umweltschutzzone in einer erweiterten Küstenzone ausrief, bei der es zwar um Maßnahmen gegen die Überfischung und die Meeresverschmutzung durch Tanker geht, doch auch darum, die Ansprüche Sloweniens noch weiter zu konterkarieren. Slowenien antwortete im Dezember vergangenen Jahres mit einem Gesetz, das Slowenien als einen gleichberechtigten Küstenstaat ansieht, der Zugang zu internationalen Gewässern hat.
Trotz intensiver Verhandlungen während der Amtszeit der sozialdemokratisch geführten kroatischen Regierung Račan kamen die Kontrahenten zu keiner Lösung. Zwar können Schiffe ohne Behinderungen die slowenische Hafenstadt Koper erreichen und auch wieder verlassen, doch der von den Slowenen geforderte „Schlauch“ zu internationalen Gewässern konnte von der Regierung Račan innenpolitisch dann doch nicht durchgesetzt werden.
Die damals oppositionelle HDZ, die heute die Regierungspartei ist, warf Račan den Verkauf nationaler Interessen vor. Wenn jetzt die HDZ-Regierung unter Sanader mit den Slowenen „in guter Atmosphäre“ reden will, so erfolgt dies durchaus im Einklang mit den Interessen Brüssels. Denn die will keinesfalls einen schwelenden Konflikt in die EU holen. Slowenien wird im Mai dieses Jahres Mitglied. Schon lange drängt Brüssel darauf, eine bilaterale Lösung herbeizuführen. Doch angesichts der Tatsache, dass Slowenien auf alle Fälle in die Europäische Gemeinschaft integriert wird, schätzen Beobachter in Ljubljana die Bereitschaft der Slowenen zum Kompromiss gering ein. Nach dem Eintritt in die EU wäre das Verhältnis zu Italien geklärt, die kroatische Argumentation in Bezug auf die Seegrenzen könnte verpuffen.
So scheint jetzt in Zagreb langsam die Bereitschaft zu wachsen, den Internationalen Gerichtshof in Den Haag anzurufen, was die bisherigen kroatischen, aber auch slowenischen Regierungen stets abgelehnt hatten. Der 1946 gegründete Internationale Gerichtshof in Den Haag bemüht sich um die Lösung von zwischenstaatlichen Grenzstreitigkeiten. Voraussetzung für einen Schiedsspruch ist allerdings, dass beide Seiten dem Verfahren zustimmen.