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Archiv-Artikel

Antibabypille für ein halbes Jahr

Ärzte und Kassen verständigten sich über Regelungen zu Zuzahlungen, auch bei chronisch Erkrankten

BERLIN taz ■ Die Zeit der Wirrnis hat ein Ende: Deutschlands Patienten wissen jetzt nicht nur, wann sie als Chroniker anerkannt werden. Gestern erfuhren sie auch, in welchen Fällen sie eine Doppelzahlung der Praxisgebühr vermeiden können. Der Bundesausschuss aus Ärzten und Kassenvertretern hat einige Unschärfen im Gesetz präzisiert.

So sollen Frauen künftig Halbjahres-Rezepte für die Antibabypille erhalten, damit sie nur einmal im Halbjahr die Praxisgebühr von 10 Euro bezahlen müssen. Diese Gebühr entfällt auch bei „planbaren Notfällen“: etwa wenn ein Patient auf Rat seines Arztes am Wochenende beim Notdienst den Verband wechseln lässt. Zudem wird bei Laboruntersuchungen, die eine Quartalsgrenze überschreiten, keine neue Gebühr fällig. Wird eine Blutprobe in einem Quartal entnommen und erst im nächsten untersucht, braucht der Patient dem Laborarzt keine Gebühr zu zahlen. Noch eine Sonderregel: Auch Psychotherapeuten, die keine Ärzte sind, dürfen wie Mediziner eine Quittung über die entrichtete Praxisgebühr von 10 Euro ausstellen.

Unterdessen trat gestern in Kraft, was der Ausschuss am Donnerstag beschloss: die Chroniker-Regelung. Bis Januar waren chronisch Kranke von jeglicher Zuzahlung befreit. Seither gilt die Gesundheitsreform, die besagt: Wer als schwer chronisch krank eingestuft wird, muss maximal 1 Prozent seines Jahresbruttoeinkommens zu medizinischen Leistungen zuzahlen. Alle übrigen gesetzlich Versicherten zahlen 2 Prozent.

Unklar blieb, wer unter die Definition „chronisch krank“ fällt. Denn das bestimmt nicht das Gesetz, sondern definiert ein „Gemeinsamer Bundesausschuss“ aus Ärzten und Kassenvertretern. Am Donnerstag verständigte sich das Gremium – auf massiven Druck. Die Patienten waren verunsichert, die Ärzte ratlos, die Gesundheitsministerin drohte, sie werde das Selbstbestimmungsrecht der Ärzte und Kassen abschaffen, sollten sich diese nicht einigen.

Nach dem Beschluss des Ausschusses gilt als chronisch krank, wer mindestens einmal im Quartal den Arzt aufsuchen muss. Zusätzlich muss der Patient eins von drei Kriterien erfüllen. Er muss schwer behindert oder pflegebedürftig sein –zumindest so sehr, dass er tägliche Hilfe braucht. Oder ein Arzt muss ihm bescheinigen, dass ein Absetzen der Behandlung sein Leiden lebensbedrohlich verschlimmert, seine Lebenserwartung vermindert oder seine Lebensqualität dauerhaft beeinträchtigt.

Während die ersten beiden Kriterien nur auf wenige Menschen zutreffen, ist es vor allem das dritte Kriterium, das den Medizinern Handlungsspielraum gibt. Zum Beispiel beim Asthma: Wer nur leicht an Asthma erkrankt ist, muss normal zuzahlen, ein schwer Asthmakranker aber kann weiterhin als Chroniker anerkannt werden. „Es gibt etwa 10.000 Krankheiten, die chronisch verlaufen können. Deshalb ist die jetzige Regelung gut: Sie deckt alle Fälle einer schweren chronischen Krankheit ab“, sagt Karl Lauterbach, Gesundheitsökonom und Regierungsberater. Kritik hingegen äußerte Thomas Isenberg vom Bundesverband der Verbraucherzentralen: Es sei skandalös, wie wenige Menschen man künftig als Chroniker anerkenne.

COSIMA SCHMITT

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