: Immer, wenn der Castor kommt
Alle Jahre wieder wird in einem abgelegenen Stück Deutschland ein Kampf ausgetragen: um Energiepolitik und die Grenzen des Rechtsstaats. Trotz einer gewissen Routine: Nicht alle im Wendland vermögen gelassen damit umzugehen. Der Widerstand denkt sich immer wieder neue Formen aus
VON GERNOT KNÖDLER
Das Ding in diesem Jahr sind die Puppen. Als weiße Schemen lehnen sie an Bäumen, Gartenzäunen und Hofeinfahrten. Des Nachts ist das gruselig anzusehen – besonders wenn nebenan ein großes, beleuchtetes Anti-Castor-X zu brennen scheint. Die Puppen sind Stellvertreter für die vielen, denen es gerichtlich untersagt worden ist, am kommenden Wochenende direkt an der Castor-Transportstrecke zum Atommüll-Lager Gorleben zu demonstrieren.
Trotzdem kommen sie: Alle paar Jahre im Herbst fallen tausende Demonstranten und Polizisten in das abgelegene Wendland ein, den nordöstlichsten Zipfel Niedersachsens. Der Landkreis Lüchow-Dannenberg ist sehr dünn besiedelt. Alleen, Knicks und Wiesen, auch mal ein Waldstück, prägen das Bild. Steht ein Atommülltransport an, kommen die Polizeiautos in den Wäldern dazu und die Camps der Atomkraftgegner.
Wenn es diesen nicht gelingt, den Transport mit den Atommüllbehältern auf dem Weg vom französischen La Hague aufzuhalten, wird er am Montagmorgen am Gartenzaun von Wilhelm Buttnop und Angela Crililoni in Langendorf vorbei rollen. Buttnop und Crililoni hatten schon oft dieses zweifelhafte Vergnügen, denn Langenfelde liegt nah an der Elbe, so dass die Transportstrecke von dieser Seite her gedeckt ist. Das erleichtert der Polizei, den Transport zu sichern und macht die Route attraktiv.
Schon Wochen vor dem Transport tauche vermehrt Polizei auf, erzählt Buttnop. Im Telefon ließen sich bisweilen fremde Gespräche mithören. Hubschrauber flögen die Transportstrecke ab und es komme dubioser Besuch. Er betreibt ein Antiquitätengeschäft und muss sich mit, wie er findet, merkwürdiger Kundschaft auseinander setzen: Leute, die seltsame Fragen stellen und am Ende für zehn Euro irgendwas kaufen.
Er habe ein Gefühl für die Spitzel, behauptet Buttnop. „Manchmal sieht man die wieder,“ sagt er. Es sei auch schon vorgekommen, dass er so jemanden hinter einer Polizeiabsperrung habe verschwinden sehen. Ganz sicher hat Buttnop ein gesundes Misstrauen: Wie sein Nachbar lässt er sich als erstes den Presseausweis zeigen und zwar keineswegs flüchtig.
Auf die Polizei sind Buttnop und Crililoni nach den vielen Protesten seit Mitte der 70er Jahre nicht mehr gut zu sprechen. „Sie können sich stundenlang mit jemand unterhalten und kriegen nachher trotzdem eine reingehauen“, erzählt Buttnop. Er ist mittlerweile so vergrätzt, dass er die Polizisten nicht mal mehr aufs Klo bei sich lässt.
Mit Blick auf die Castor-Transporte von einer „Belastung“ zu sprechen, sei „echt untertrieben“, findet seine Frau Angela. Das massive Auftreten der Polizei, die Kontrollen und Observationen – all das grenze an Vergewaltigung. „Man wird schäbig behandelt und fühlt sich auch schäbig“, sagt Crililoni.
„Wenn sich die Polizei an Recht und Gesetz halten würde, gäbe es solche Transporte nicht“, glaubt Buttnop. Mit dem Recht nicht vereinbar ist aus seiner Sicht das Prügeln, Einkesseln und des Platzes verweisen. „Ich finde, dass es nicht angemessen ist, Wasserwerfer und Hunde gegen Leute einzusetzen, die auf der Straße sitzen.“
Nicht dass es den Wendländern und ihren Unterstützern an Phantasie mangeln würde. Bei Gedelitz wird in diesem Jahr der Freien Republik Wendland von 1980 gedacht, dem Hüttendorf auf der Erkundungsbohrstelle 1004 für das geplante Atommüll-Endlager. Auf einer Wiese, zwei Kilometer vom Atommülllager entfernt, lässt Heinrich Kranz, Ökomanager des Jahres 2006, das Widerstandsdorf aus riesigen Strohballen nachbauen. Die Ballen sind aus Brennesselstroh, denn das gehört zu Kranz’ Geschäft: Seine Firma produziert Stoffe aus Brennnesseln.
Im dünnen schwarzen Mantel dirigiert Kranz einen Trecker, der die Ballen aufspießt. Kranz hat einen Plan in der Hand, nach dem auf der Wiese die Grundrisse der Häuser abgesteckt sind. „Wir errichten symbolisch die Freie Republik Wendland, weil wir die permanente Einschränkung von Rechten feststellen“, sagt er. Das ganze Strohballendorf mit Museum, „Volxküche“ und Passstelle sei als politische Meinungsäußerung zu verstehen. „Es soll ein Ort sein, wo jeder demonstrieren kann, einfach durch seine Anwesenheit“, sagt Kranz. Sein Angebot richtet sich an die, die sich nicht einer Konfrontation mit der Staatsmacht aussetzen wollen.
Wenige hundert Meter weiter im Obstgarten des Hotels Wiese sind weiße Festzelte zu erkennen: die Basis für eines von drei Aktionscamps. Junior-Chefin Tina Wiese kommt in einem Feuerwehr-orangefarbenen Fiesta an gefahren. Eben hat sie ein Schild für die Demos am Wochenende gemalt. „Die Großmutter meines Mannes hat schon die ersten Briefe an Herrn Albrecht, den damaligen Ministerpräsidenten, geschrieben“, erzählt sie stolz.
Sie selbst sei von ihren großen Schwestern auf die Demos mitgenommen worden. Im Laufe der Jahre habe sie Hofdurchsuchungen erlebt und Hubschraubereinsätze. Einmal sei das Hotel abgeriegelt gewesen. Nicht einmal Vater Wiese sei durchgelassen worden, als er vom Zeitungen austragen kam. Dafür haben die Leute aus dem Hotel auch mal Demonstranten durch den Wald gelotst. Wieses zehnjährige Tochter, die in Hitzacker zur Schule geht, kann sich auf den Transport freuen. „Wenn der Castor ab Lüneburg unterwegs ist, haben die schulfrei“, sagt Wiese.
Angela Crililoni aus Langendorf hat schon angekündigt, dass sie am Montag wohl nicht zur Arbeit kommen werde. „Wer Atomkraftgegner ist, der hält es nicht aus, zur Arbeit zu fahren“, sagt sie – ganz abgesehen davon, dass es für Leute, die an der Transportstrecke wohnen, schwierig wäre.
Wenn die Castoren durchs Dorf rollen, wird sie sich mit den Nachbarn „wegen der Strahlung“ hinter die Kirche verziehen. „Das schockt die Polizisten am meisten“, sagt ihr Mann. Crililoni verbindet das mit einer Vision: „Wenn mal keiner da wäre, wenn der Castor kommt ...“ Dann würden nur die weißen Stellvertreterpuppen in ihren ausgestopften Staubschutzanzügen geisterhaft grüßen.