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Archiv-Artikel

Kofi Annan stellt sich gegen die US-Regierung

Der UN-Generalsekretär sieht keine völkerrechtliche Legitimation für einen Irakkrieg. Washingtons Reaktion ist harsch – und erstaunlich

GENF taz ■ Für Kofi Annan, den die USA 1996 als neuen Generalsekretär der UNO vorgeschlagen und durchgesetzt hatten, gehören Reibereien mit Washington inzwischen längst zum fast täglichen Brot. Doch der Schlagabtausch der letzten 48 Stunden ist von neuer Qualität, berührt er doch Grundlagen des Völkerrechts und der Institution der UNO.

Während der Sicherheitsrat am Montag in New York zu seiner Iraksitzung zusammentrat, warnte Annan von Den Haag aus (wo er an der Vereidigung der Richter des Internationalen Strafgerichtshofes teilnahm), ein Krieg der USA ohne eine dazu ermächtigende neue Resolution des Sicherheitsrates sei ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht. Für viele Mitarbeiter der UNO und bei ihr akkreditierte Diplomaten zahlreicher Mitgliedsstaaten war diese öffentliche Positionierung des Generalsekretärs seit langem überfällig.

Denn seit vielen Wochen behaupten die Regierungen in Washington und London, sie hätten mit der Resolution 1441 vom November letzten Jahres längst eine ausreichende völkerrechtliche Legitimation für einen Krieg gegen Irak. Doch trotz dieser Behauptungen braucht der britische Premierminister Tony Blair auf jeden Fall eine neue UN-Resolution, wenn er die Beteiligung seines Landes an einem Irakkrieg innenpolitisch überleben will. Daher traf Annan mit seiner Erklärung genau die Schwachstelle der britisch-amerikanischen Kriegskoalition.

Entsprechend schnell und harsch erfolgte die Reaktion aus Washington. Der UN-Generalsekretär liege falsch mit seiner Interpretation des Völkerrechts, verkündete Präsidentensprecher Ari Fleischer in der Nacht zum Dienstag. Das Mandat für einen Krieg der USA und Großbritanniens gegen Irak gründe auf der UN-Resolution 678.

Das ist nun allerdings eine neue und höchst erstaunliche Behauptung. Denn mit Resolution 678 setzte der UN-Sicherheitsrat am 29. November 1990 der irakischen Regierung ein Ultimatum, ihre Besatzungstruppen in Kuwait bis spätestens 15. Januar 1991 abzuziehen. Für den Fall, dass Bagdad dieses Ultimatum verstreichen lassen sollte, autorisierte der Rat die Mitgliedsstaaten der UNO in der Resolution dazu, „alle erforderlichen Mittel anzuwenden“, um die Besetzung Kuwaits rückgängig zu machen. Das geschah dann im zweiten Golfkrieg ab dem 16. Januar 1991. Damit war das Mandat der Resolution 678 vollständig erfüllt und abgelaufen.

Das Recht auf Anwendung militärischer Mittel zu einem anderen Zweck oder zu einem späteren Zeitpunkt ist aus der Resolution 678 auch mit den allergrößten Interpretationskünsten nicht abzuleiten. Möglicherweise hat Fleischer aber auch die Resolution 678 mit der Resolution 687 vom 3. April 1991 verwechselt. In dieser Resolution verfügte der Sicherheitsrat die Abrüstung irakischer Massenvernichtungswaffen und ballistischer Raketen unter UN-Kontrolle. Ein Mandat für die Anwendung militärischer Mittel ist in der Resolution 687 nicht enthalten.

ANDREAS ZUMACH