Aufstand gegen die Großen Fünf

Jetzt melden sich im Irakkonflikt auch die kleinen UN-Mitglieder zu Wort. In der Generalversammlung könnten sie die Initiative gegen den Krieg ergreifen

aus Genf ANDREAS ZUMACH

Während sich die 15 Mitglieder des UN-Sicherheitsrates hinter den Kulissen weiterhin um die konsensfähige Version einer zweiten Irakresolution bemühen, begann gestern eine zweitägige öffentliche Irakdebatte, an der alle Mitgliedsstaaten der Generalversammlung das Wort ergreifen können.

Die Debatte findet auf Antrag der zurzeit von Malaysia geführten Gruppe der 115 nichtpaktgebundenen Staaten statt. Dabei wird wahrscheinlich auch der Vorschlag zur Sprache kommen, dass die Generalversammlung von dem durch gegenseitige Vetodrohungen blockierten Sicherheitsrat die Befassung mit dem Irakkonflikt übernimmt und eine Resolution verabschiedet – ähnlich wie 1950 im Koreakonflikt mit der „Uniting for Peace“-Entschließung.

Zu einer Abstimmung im Sicherheitsrat über einen – oder möglicherweise mehrere – Entwürfe für eine Irakresolution wird es voraussichtlich frühestens am Freitag kommen. Denn trotz der Erweiterung des Entwurfes um ein auf den 17. März befristetes Ultimatum an Bagdad sowie erheblichen Drucks auf die noch als unentschlossen geltenden Ratsmitglieder Chile, Mexiko, Pakistan, Angola, Kamerun und Guinea konnten Washington und London bis zu der Ratssitzung vom Montag nicht eine Jastimme hinzugewinnen. Die ausdrückliche Bekräftigung der Vetodrohung Russlands und Frankreichs durch Außenminister Igor Iwanow und Staatspräsident Jacques Chirac hat den USA und Großbritannien darüber hinaus endgültig klar gemacht, dass ihr Entwurf selbst dann scheitern würde, wenn er neun Jastimmen erhalten sollte.

Seitdem wird über verschiedene Variationen des vorliegenden Entwurfs diskutiert. Ein Modell läuft darauf hinaus, das bislang auf den 17. März terminierte Ultimatum an Bagdad zu verlängern. Washington signalisierte Bereitschaft zu einer Ausweitung „um einige Tage“. In der Gruppe der sechs noch „unentschlossenen“ Ratsmitglieder wird hingegen eine Verlängerung bis zum 17. oder 30. April diskutiert.

Britische Diplomaten haben die Idee gestreut, die pauschale Forderung an Bagdad nach Erfüllung sämtlicher Auflagen der Resolution 1441 bis zu einem bestimmten Termin durch eine Reihe detaillierter Abrüstungsforderungen zu ersetzen. UN-Chefinspekteur Blix hatte bereits auf der Ratssitzung am letzten Freitag eine Liste von 29 Abrüstungsauflagen vorgelegt, die aus Sicht der Inspektoren noch nicht erfüllt sind, nebst konkreten Schritte, die Irak zur Erledigung dieser Fragen noch leisten müsste. Bis zum 17. März will Blix für jede dieser 29 Auflagen eine konkrete Frist vorschlagen. Der britische Premierminister Tony Blair, der bei der Teilnahme an einem Krieg gegen Irak ohne ein UN-Mandat mit seinem Sturz rechnen muss, ließ durch seine UN-Diplomaten inzwischen noch weitergehende Flexibilität signalisieren. Es sei nicht unbedingt erforderlich, dass Irak bis zu einem vom Sicherheitsrat gesetzten Termin auch sämtliche Abrüstungsauflagen erfülle. Es reiche aus, wenn Bagdad die entsprechende Bereitschaft demonstriere.

Doch selbst ein Resolutionsentwurf mit derartigen oder ähnlichenVeränderungen und einer Fristsetzung bis Mitte oder Ende April wird nach Einschätzung von UN-Diplomaten nicht konsensfähig sein. Frankreich, Russland, China und Deutschland dürften darauf bestehen, dass einer friedlichen Entwaffnung des Irak durch ein intensiviertes Inspektionsregime eine Chance bis mindestens Juni oder Juli gegeben wird.

Für die öffentliche Debatte unter den Mitgliedern der UN-Generalversammlung hatten bis Montagabend bereits über 60 Staaten einen Redebeitrag angemeldet. Bei zwei früheren Generaldebatten zum Thema Irak hatten sich im Februar über 120 sowie im Oktober letzten Jahres über 80 der 191 UN-Mitglieder beteiligt. Dabei wurde deutlich, dass eine überwältigende Mehrheit der Generalversammlung einen Krieg gegen Irak ablehnt und auf die „friedliche Entwaffnung“ Iraks durch ein intensiviertes Inspektionsregime innerhalb eines realistischen Zeitraumes setzt. Auch wurde bei den Debatten zum Teil scharfe Kritik laut an der Art, wie der Sicherheitsrat – nicht nur in der jüngeren Zeit, sondern bereits seit dem Golfkrieg von 1991 – mit dem Irakproblem umgeht. Zudem monierten zahlreiche Redner den massiven Druck, den insbesonders die beiden ständigen Sicherheitsratsmitglieder USA und Großbritannien zur Durchsetzung ihrer Positionen auf andere UN-Mitglieder ausüben.