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Archiv-Artikel

Der Selfmade-Presidente

Silvio Berlusconi lebt von der offenen Selbstinszenierung. Seit er vor zehn Jahren die Partei Forza Italia gründete, bedient er die alten Feindbilder mit immer gleichem Gesicht. Jetzt auch ohne Falten

AUS ROM MICHAEL BRAUN

„Wir haben keine Vergangenheit, die wir verbergen müssten!“ Ohne rot zu werden und voll Emphase rief Silvio Berlusconi am Samstag bei der Großkundgebung zum 10. Jubiläum der Berlusconi-Partei sein Statement in den Saal, und tausende Forza-Italia-Aktivisten spendeten frenetischen Beifall. Einen Monat lang war Berlusconi von der Bildfläche verschwunden, um erst 36 Stunden vor der Zehnjahresfete wieder aufzutauchen – und den Grund seines Abtauchens konnten alle besichtigen.

Ein ganzes Stück Vergangenheit hatte sich Italiens Regierungschef wegoperieren lassen, in der Schweiz, von einem US-Schönheitschirurgen. Weg mit dem schlaffen Doppelkinn, weg mit den aufgedunsenen Tränensäcken, weg mit den tiefen Stirnfurchen.

Das italienische Oppositionsblatt Repubblica bemühte gleich den Papst: Der wisse Alter und Gebrechlichkeit mit Würde zu tragen. Ist Berlusconi also bloß ein eitler Pfau, der nicht wahrhaben will, dass auch er altern muss? Oder vielmehr einer, der sich mit vollem Körpereinsatz für seine politische Sache opfert? Dass sich da ein Politiker geradezu manisch um sein Erscheinungsbild kümmert, das stempelt ihn ganz gewiss nicht zur Ausnahme. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen ein junger Ministerpräsident namens Helmut Kohl mit Kassengestell auf der Nase Karriere machen konnte. Ob Designerbrille oder Föhnrolle: Heute muss der Typberater ran, um dem Politiker das erfolgsträchtige Outfit zu verpassen. Bloß merken soll es keiner; Selbstinszenierung gilt als unschicklich.

Da allerdings ist Berlusconi durchaus einen Schritt voraus: Er tut’s nicht nur – er steht auch dazu. Schon vor zehn Jahren, bei seinem Einstieg in die Politik, wusste es ganz Italien: Zu Berlusconis Antrittsrede hatte der Kameramann einen Damenstrumpf übers Objektiv gezogen, um ihn in wärmeres Licht zu tauchen.

Auch wissen alle von den hohen Absätzen, den dicken Sitzkissen, den erhöhten Stehpodesten, die den kleinwüchsigen Berlusconi davor bewahren sollen, als Zu-kurz-Gekommener zu erscheinen. Und keiner ist wirklich überrascht, wenn Wahlplakate ihn, trotz der im wirklichen Leben rasant fortschreitenden Glatze, mit vollem Haar zeigen. Die dreiste Retusche soll vor allem eines zeigen: Der Mann hat nichts zu vertuschen – ganz offen inszeniert er die Selbstinszenierung.

Als „neuer Mann“ hatte er sich im Januar 1994 präsentiert. Und am Samstag stand er wieder da, mit dem gleichen markanten Kinn, den gleichen straffen Wangen, um gegen das „Politiktheater“ zu wettern, ganz unverbraucht, so als gehöre er nicht sein zehn Jahren zu dem Laden. Als Selfmademan hatte er sich verkauft, als einer, der aus eigener Kraft sein Imperium der Bilder, seinen TV-Konzern geschaffen hat. Nun zeigt er, dass er sich selbst an die gefälschten Bilder anzupassen weiß. Zum „vom Herrn Gesalbten“ hatte er sich damals befördert, seinen Anhängern von seinem politischen „Traum“, ja von „Wundern“ vorgeschwärmt.

Die gleichen Träume und Wunder beschwor er am Samstag wieder, als sei die Zeit einfach stehen geblieben unter dem trotz seiner 67 Jahre traumhaft jung wirkenden „Presidente“.

Der weiß nämlich: Er darf einfach nicht alt werden. Er braucht nicht nur die Feindbilder von gestern – am Samstag ging’s wie gehabt zuvörderst gegen die „Comunisti“, vor denen er Italien errettet haben will, und gegen die Justiz, die er indirekt mit dem Faschismus verglich, indem er aus einem Brief eines Anhängers zitierte: „Der Faschismus war weniger gehässig als diese in Roben gehüllte Bürokratie.“

Berlusconi braucht vor allem sich selbst. 1994 gründete er nicht bloß die Forza Italia (FI), er war die Partei, mit seinem Geld, mit seiner Staff, seinen Dienern, seinen Medien. So ist es heute noch, auch wenn ein Forza-Italia-Mann wissen ließ, die Partei sei „kein Plastikgeschöpf mehr“. Forza-Italia-Koordinator Sandro Bondi ist da ehrlicher: „Noch mindestens 30 Jahre“ benötige der als Silvio-Fanclub gegründete Verein seinen Chef, bevor FI auf eigenen Beinen laufen werde. Wohl an sich selbst dachte denn auch Berlusconi, als er am Samstag die „authentische Erneuerung“ beschwor.

Die braucht er, die kann er seinen Anhängern einfach nicht versagen, allein schon der brandgefährlichen Gegner wegen, gegen die er seit zehn Jahren seine „Schlacht der Freiheit“ führt. Über die roten Feinde nämlich wusste der runderneuerte Berlusconi Fürchterliches zu berichten: „Ihr Lifting ist ihnen misslungen.“