: Zur Zustimmung zwingen geht nicht
Die FDP kämpft gegen den Widerstand der Unionsparteien für ein Zuwanderungsgesetz und will zwischen den Lagern vermitteln. Ihre Bundesrats-Stimmen können die Liberalen aber nur ausspielen, wenn die Union eine eigene Mehrheit braucht
von CHRISTIAN RATHund SEAD HUSIC
Die Zuwanderungsdebatte hat gestern einen weiteren Tiefpunkt erreicht. Die CDU/CSU-Fraktion verwarf bei der erneuten Lesung des Zuwanderungsgesetzes im Bundestag auch den von der FDP als Kompromiss vorgelegten Entwurf. Darin schlugen die Freidemokraten vor, die Zuzugsquote von Ausländern jährlich neu festzulegen. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) warf der Union vor, entgegen allen Beteuerungen „Blockadepolitik“ zu betreiben. Dies sei keine „verantwortungsvolle Oppositionspolitik“, sagte Schily.
Die FDP glaubt jedoch offenbar weiterhin an eine Vermittlungslösung. Die baden-württembergische Justizministerin Corinna Werwigk-Hertneck (FDP) warb gestern im Parlament für den Vorschlag ihrer Partei, der „auf der Basis des rot-grünen Gesetzes“ erstellt worden sei und auch die Unionswünsche berücksichtige. Der FDP-Entwurf akzeptiere, „dass wir ein Einwanderungsland sind, kein traditionelles, aber ein faktisches“, sagte Werwigk-Hertneck.
Erst vor einigen Wochen verhinderten die Liberalen, dass die Union im Bundesrat 137 Änderungsanträge zum Zuwanderungsgesetz einbrachte. Weitergehende Vermittlungserfolge hat sie seither öffentlich nicht vorweisen können. Hinter den Kulissen jedoch scheinen die Freidemokraten immer noch an einer Einigung in allen politischen Lagern zu wirken.
Kurz vor Weihnachten war das rot-grüne Reformwerk durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus formalen Gründen gestoppt worden. Das Gericht erklärte die Abstimmung im Bundesrat für nicht verfassungsgemäß. Schon dieses Urteil hielt die Union für einen Sieg ihrer Politik. Seit sie überdies die Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen so überragend gewann, geben CDU und CSU gerne mit den 41 Stimmen an, über die sie nun im Bundesrat verfügen.
Doch in vier Ländern sitzt die FDP mit am Regierungstisch: Baden-Württemberg, Hamburg, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. Damit haben die Liberalen Einfluss auf knapp die Hälfte der vermeintlichen Unions-Voten und können, wenn keine Einigung mit der CDU möglich ist, zumindest Enthaltung oder Ungültigkeit der Stimme erzwingen. Ohne die FDP hätte die Union nur 22 Stimmen im Bundesrat, für die Mehrheit bräuchte sie jedoch 35 Voten.
Allerdings ist die Macht der FDP begrenzt. Denn sie kann die CDU nicht zur Zustimmung zu einer Kompromisslösung zwingen. Stark sind die Liberalen nur, wenn die CDU eine eigene Mehrheit braucht, wie jüngst bei den Änderungsanträgen. „Natürlich müssen wir in diesem Streit bedenken, dass der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber bereits in seiner Aschermittwochsrede ein neues Zuwanderungsgesetz abgelehnt hat. Erst nach den bayerischen Landtagswahlen im September kann man da wohl mehr Bewegung von der Union erwarten“, sagte der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Max Stadler, der taz.
Unterdessen forderte auch der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Ludwig Georg Braun, eine Einigung im Zuwanderungsstreit. „Das Gesetz muss kommen – im Interesse des Standortes Deutschland“, sagte Braun. Weder die negativen Arbeitsmarktzahlen noch die derzeitige Zurückhaltung bei Neueinstellungen änderten etwas an der Tatsache, dass Deutschland ein modernes Zuwanderungsgesetz brauche.