: Fleischexport contra Virenschutz
Nach den ersten Opfern der Geflügelpest räumt der thailändische Premier Versäumnisse ein. EU und WHO wollen Klarheit und nicht nur Beteuerungen
AUS BANGKOK NICOLA GLASS
Der sonst so selbstbewusste thailändische Premier wirkt ziemlich defensiv: Thaksin Shinawatra, für seine populistische Politik bekannt, muss sich verschärfte Kritik der Medien, der Bevölkerung und internationaler Handelspartner gefallen lassen. Denn die Vogelgrippe wächst sich zu einer Krise aus. Mindestens neun Länder in Asien sind mittlerweile befallen. Mindestens acht Menschen in Vietnam und Thailand sind an der Infektion mit dem H5N1-Erreger gestorben,die Hälfte davon waren Kinder. Und jeder Tag bringt neue Schreckensmeldungen.
Dabei hatte in Thailand alles scheinbar harmlos angefangen: Im vergangenen November meldeten Züchter, dass einige ihrer Tiere verendet seien. „Ich wusste sofort, dass es Vogelgrippe war“, sagte ein Farmer, der seit vielen Jahren im Geschäft ist. Erste Schlachtungen an Hühnern sollen bereits um den Jahreswechsel begonnen haben, wie Verbraucherschützer herausfanden. Behörden wie das Landwirtschaftsministerium wiegelten ab: Offiziell sprach man von der weniger gefürchteten Vogelcholera oder Bronchitis. Wer Geflügelpest als mögliche Ursache anführte, wurde als Ignorant zurückgewiesen.
Dabei ist die Vogelgrippe in der Region längst keine unbekannte Größe mehr: In Hongkong starben 1997 mindestens sechs Menschen an dem damaligen Erreger, der jedoch rasch mutiert. Mitte Dezember 2003 meldete nun Südkorea den Ausbruch der Seuche, Anfang und Mitte Januar folgten Berichte aus Vietnam, Japan und Taiwan. Das alles focht die Regierung in Bangkok nicht an: Bis zum 23. Januar hatte sie steif und fest behauptet, dass die Geflügelpest kein Thema sei. Öffentlichkeitswirksam hatte Shinawatra noch drei Tage zuvor vor Fernsehkameras Hühnchenspieße verspeist. Doch am besagten Freitag vergangener Woche musste Gesundheitsministerin Sudarat Keyuraphan einräumen, dass sich ein sechs- und ein siebenjähriger Junge infiziert hatten. Wie das Gesundheitsministerium jedoch später erklärte, sei man erst am 23. Januar vom Landwirtschaftsministerium über den Ausbruch der Geflügelpest informiert worden. Da aber am selben Tag die Erkrankung der Kinder bestätigt wurde, muss zumindest eine der zuständigen Behörden etwas gewusst haben. Entsprechende Tests, die eine Infektion mit dem H5N1-Erreger feststellen können, dauern Tage. Am vergangenen Sonntag schließlich hatte Premier Thaksin eingeräumt, seine Regierung habe seit rund zwei Wochen einen Verdacht gehabt. Man habe jedoch eine Panik vermeiden wollen.
Kritiker sehen das anders: Sie werfen Thaksin vor, den Ausbruch der Seuche vertuscht zu haben, um die blühende Exportindustrie und das für dieses Jahr angestrebte Wirtschaftswachstum von acht Prozent nicht zu gefährden. Die Demokraten forderten jetzt ein Misstrauensvotum gegen die Verantwortlichen. Es scheint, als ob der Ausbruch der Vogelgrippe in einem Land, in dem Kritiker zunehmend unter Druck geraten, das politische Eis gebrochen hat. Thaksin selbst, der empfindlich gegen Kritik ist und Thailand selbstherrlich regiert wie einst sein milliardenschweres Telekommunikationsunternehmen, kann vor allem den Eltern, die derzeit den Tod ihrer Jungen betrauern, nichts entgegensetzen. „Die Regierung hat es doch gewusst, warum hat sie die Öffentlichkeit nicht informiert?“, fragte gestern ein verzweifelter Vater. Unterdessen werden immer mehr der 76 Provinzen zu Sperrzonen erklärt. Über 24 Millionen Hühner sind sofort geschlachtet oder, in Säcken verpackt, lebendig begraben worden. Ethische Fragen stellt hier niemand. Vor allem die Soldaten und Häftlinge nicht, welche die Regierung für die Massenvernichtungen abgestellt hatte, weil die Farmarbeiter sich vor der Ansteckung fürchteten. Die Züchter, meist kleine Bauern, können nur fassungslos zuschauen.
Das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen, dürfte somit mehr als problematisch werden. Zumal sich auch die Europäische Union, nach Japan weltweit zweitgrößter Abnehmer für thailändisches Geflügel, am späten Montagabend in scharfer Form geäußert hatte. Nach Angaben einer Sprecherin von EU-Verbraucherschutzkommissar David Byrne werde das vergangene Woche beschlossene Einfuhrverbot erst dann wieder aufgehoben, wenn die Gefahr einer Ansteckung eindeutig gebannt sei. Angesichts der Verschleierungstaktik Bangkoks reiche eine Versicherung der Regierung nicht aus. Kein Wunder, dass Thailand um Schadensbegrenzung bemüht ist: Auf einem Gipfel heute in Bangkok wollen die betroffenen Länder sowie die EU, China und Vertreter der WHO gemeinsame Richtlinien erarbeiten, die eine Zusammenarbeit beim Kampf gegen die Geflügelpest vorsehen. Doch das muss inszeniert werden und kostet Zeit: Arme Länder wie Laos oder Kambodscha, deren Infrastruktur hinter der von Thailand, Südkorea oder Japan zurückliegt, brauchen verstärkt die Unterstützung internationaler Organisationen.