: „Warum gerade Pocken?“
Bremen trifft Vorkehrungen für einen möglichen Terroranschlag mit Pockenviren. Die Fachwelt steht den Anstrengungen des Gesundheitsamtes jedoch mit Skepsis und Sorge gegenüber
taz ■ Mit ernster Miene wendet sich Hans-Georg Güse, Beauftragter des Senators für Gesundheit, an sein Publikum: „Die Gefahr, der wir uns ausgesetzt sehen, ist nicht beschreibbar.“ Dennoch ist er mit seinen Ko-Referenten Herbert Rasche vom Krankenhaus St. Jürgen-Straße und dem Seuchenexperten Werner Wunderle vom Bremer Gesundheitsamt angetreten, um genau dies zu versuchen.
Etwa 30 ÄrztInnen haben sich vor kurzem im Konferenzraum der Kassenärztlichen Vereinigung versammelt, um sich über das Bremer Katastrophenmanagement im Falle eines Terroranschlags mit Pockenviren zu informieren. Die Situation erinnert an eine Krisenstabssitzung, die Stimmung unter den Medizinern pendelt zwischen Gelassenheit und tiefer Sorge.
Allzu rosig sähe die Lage im Falle einer Pocken-Epidemie tatsächlich nicht aus. Dass die Pocken seit 25 Jahren nicht mehr existieren und es im Moment noch keinen Hinweis auf einen solchen Anschlag gebe, wie Rasche betont, wirkt zwar ein wenig beruhigend, jedoch: Sowohl in den USA als auch in Israel wurden Massenimpfungen angeordnet.
So etwas komme, wie Wunderle versichert, im Moment überhaupt nicht in Frage. Der Impfstoff, den die Bundesregierung zurzeit anschaffe, sei noch gar nicht zugelassen und hätte außerdem beträchtliche Nebenwirkungen (taz berichtete). Es gehe nur darum, im Ernstfall vorbereitet zu sein.
Einige der Mediziner betrachten solche Anstrengungen jedoch mit Skepsis. „Damit unterstützen wir doch nur die Kriegstreiberei und Panikmache der Amerikaner!“ ereifert sich ein jüngerer Teilnehmer. Seuchenexperte Wunderle reagiert verständnisvoll, widerspricht dem Mann allerdings, doch ein anderer Zuhörer ist sich sicher: „Es wird hier sowieso niemals einen Pockenanschlag geben.“
„Warum gerade Pocken?“ fragt ein Dritter in den Raum. Ein Anschlag mit einem anderen Krankheitserreger könne doch ebenso wahrscheinlich sein.
Hier kontert Wunderle mit harten Fakten. Für einen Terroranschlag sei der Pockenvirus bestens geeignet. Andere Bio-Kampfstoffe wie etwa Milzbrand (Anthrax) seien nicht von Mensch zu Mensch übertragbar und außerdem mit Antibiotika in den Griff zu kriegen. Pocken hingegen seien höchst ansteckend und nicht behandelbar.
Obwohl der Virus sich über die Luft ausbreite, sei ein regional begrenzter Pockenfall irgendwo in Deutschland noch lange kein Grund zu handeln. Ernst würde es erst werden, wenn sich ein Ausbruch der Seuche nicht mehr eingrenzen ließe, führt Wunderle aus. Erst dann könnte per Rechtsentscheid des Bundes eine Massenimpfung veranlasst werden. In Bremen hieße das, in fünf Tagen mehr als eine halbe Million Menschen zu impfen. An dieser Aktion wären auch die Hausärzte beteiligt.
Allmählich wird an diesem Abend die Furcht der Mediziner vor der zurzeit noch völlig fern scheinenden Seuchengefahr verständlich. Als zum Schluss eine Liste herumgereicht wird, auf der die Ärzte ihre Teilnahme an der Informationsveranstaltung bestätigen sollen, erkundigt sich eine Frau sorgenvoll: „Verpflichten wir uns damit auch, im Ernstfall bei den Impfungen mitzumachen?“
Till Stoppenhagen